Die Moralisten by Unbekannter Autor

Die Moralisten by Unbekannter Autor

Autor:Unbekannter Autor
Die sprache: deu
Format: epub


8

Sie zog sich schon früh in ihr Zimmer zurück und las noch eine Weile, bevor sie einschlief. Durch die geschlossene Tür vernahm sie das leise Summen der Unterhaltung. Sie mußte lächeln. Joe hatte die zweiundzwanzig Dollar anstandslos genommen. Was würden sie als nächstes tun, fragte sie sich. Schließlich schaltete sie das Licht aus und schlief ein. Morgen war wieder ein Tag; Zeit genug, darüber nachzudenken.

Als sie erwachte, fiel heller Sonnenschein durch das offene Fenster. Sie rollte sich auf dem Bett herum und streckte sich. Es war wunderbar, zu einer vernünftigen Zeit ins Bett zu gehen. Sie hatte fast vergessen, wie es war. Sie stieg aus dem Bett und nahm ihren Morgenmantel vom Stuhl. In diesem kleinen Zimmer gab es keine Schränke, nur in dem großen Raum, in dem Joe und Evelyn schliefen.

Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und ging in das andere Zimmer hinüber. Verwundert runzelte sie die Stirn. Das Bett war leer. Niemand hatte darin geschlafen. Sie trat ans Fenster und blickte hinaus. Auch vom Wagen war weit und breit nichts mehr zu sehen. Am Wasserhahn füllte sie die Kaffeekanne, während sie noch immer überlegte. Die beiden waren wahrscheinlich am vergangenen Abend ausgegangen und noch nicht zurückgekehrt. Sie schaltete die Platte unter der Kaffeekanne ein und trat an den Wandschrank.

Alles leer. Alle Kleider verschwunden. Hastig riß sie die Schubladen der Kommode auf. Nichts mehr da. Still fluchte sie in sich hinein. Die einzige Kleidung in der ganzen Wohnung bestand aus dem, was sie im Augenblick trug: ein Nachthemd, ein billiger Morgenmantel und ein Paar Hausschuhe. Sie hatten alle ihre Kleider mitgenommen, sogar den Badeanzug.

Der Kaffee sprudelte auf. Sie goß sich eine Tasse ein, setzte sich hin und dachte nach. Automatisch griff sie nach dem Päckchen Zigaretten, das immer auf dem Tisch lag. Sogar das war verschwunden. Sie ging in ihr Schlafzimmer und holte sich das Päckchen aus ihrer Handtasche.

An der Tür wurde geklopft. Sie öffnete. Der Hauswirt stand draußen. »Bitte?« fragte sie.

Er war ein untersetzter, dicker Mann, der sie nun unter seinen buschigen Augenbrauen hervor ansah. »Ihre Freunde sind abgereist«, sagte er.

Sie blieb in der Tür stehen. »Ja.«

Er machte eine Bewegung, als wollte er in die Wohnung eintreten, aber sie versperrte ihm den Weg. »Die beiden haben mir gesagt, Sie würden die Miete zahlen«, erklärte er und versuchte dabei, ihr über die Schulter zu blicken und zu sehen, was noch in der Wohnung zurückgeblieben war.

»Wieviel schulden sie Ihnen?«

»Für drei Wochen«, antwortete er, und seine Blicke wichen den ihren aus. »Neunzig Dollar.«

Sie wußte nicht genau, ob er log. Wenn er die Wahrheit sprach, so hatte sich Joe ihren Anteil an der Miete in die Tasche gesteckt. »Mir hat er gesagt, er hätte bis zur letzten Woche alles bezahlt«, sagte sie. Er sah sie lauernd an.

»Haben Sie die Quittungen?«

»Sie müssen irgendwo hier sein«, antwortete sie.

Er wußte, daß sie sie nicht hatte. Als er mitten in der Nacht den Motor hatte anspringen hören, war er aus seinem Zimmer hinausgestürzt. Selbst wenn er schlief, lauschte er mit einem Ohr auf seine Mieter. So mußte man sein, wenn man möblierte Wohnungen vermietete und nicht eines Tages ohne Hemd dastehen wollte.



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