Die Kurden by Strohmeier Martin; Yalçin-Heckmann Lale
Autor:Strohmeier, Martin; Yalçin-Heckmann, Lale
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Regional- und Ländergeschichte
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2016-09-25T16:00:00+00:00
Abb. 3: Flüchtlingstreck irakischer Kurden nach dem Golfkrieg an der türkischen Grenze vor der Brücke Deştan über den Zab, März 1991
Es war die praktische Umsetzung der UN-Resolution 688 vom April 1991, in der der Sicherheitsrat die Unterdrückung der Zivilbevölkerung verurteilt hatte. Bald darauf begann die Rückführung der Flüchtlinge aus der Türkei.
Nicht zuletzt aufgrund der erbärmlichen Lage der Bevölkerung sahen sich die Kurden gezwungen, mit Bagdad zu verhandeln. Es muss daran erinnert werden, dass die Kurden nur eine, wenn auch die größte Oppositionsgruppe im Irak waren. 1992 hatte sich der Irakische Nationalkongress konstituiert, dem die meisten Oppositionsgruppen angehörten und dessen Ziel ein demokratischer und föderaler Staat war. Die Entscheidung der Kurdistan-Front, auf eigene Faust, also ohne Konsultation der nicht-kurdischen Gruppen mit Saddam Husain zu verhandeln, schwächte die irakische Opposition. Die Gespräche drehten sich wie früher um das Ausmaß der Autonomie für die Kurdengebiete. Sie verliefen ergebnislos und waren begleitet von Zusammenstößen zwischen kurdischen Kämpfern und Regierungstruppen. Husain hoffte, die Kurden zu einer Lösung zwingen zu können; seine Forderung nach Ablieferung aller schweren Waffen wurde aber abgelehnt. Bagdad ging zu einer Politik des wirtschaftlichen Ausblutens über. Eine Blockade wurde verhängt, die zur Verknappung und Verteuerung von Benzin und Lebensmitteln führte. Die Zahlung der Gehälter kurdischer Staatsbediensteter wurde eingestellt. Das Ansehen der kurdischen Organisationen sank, weil sie von der Bevölkerung für die verheerende Versorgungslage mitverantwortlich gemacht wurden. Husain ging wohl davon aus – zu Recht, wie die Ereignisse zeigen sollten –, dass es früher oder später zu Konflikten unter den kurdischen Parteien käme, die diese zwingen würden, einen Modus vivendi mit ihm zu finden, und zwar zu seinen Bedingungen.
Mit der Etablierung der UN-Sicherheitszone, dem Abzug der irakischen Regierungstruppen und der Verhängung des irakischen Embargos erreichte ein kurdisches Gebiet zum ersten Mal eine international geduldete Autonomie (diese Region erstreckt sich auch südlich des 36. Breitengrads; sie reicht von Zachu im Nordwesten bis Halabdscha im Südosten). Die Kurden konnten diesen Zustand der De-facto-Unabhängigkeit – von ökonomischer Unabhängigkeit konnte und kann keine Rede sein – für ihre nationalistischen Ziele nicht nutzen. Dies lag zum einen an den Konkurrenzkämpfen der kurdischen Parteien, vor allem der DPK und der PUK, untereinander. Aber auch ohne diese Rivalitäten hätten die Chancen für eine gedeihliche Entwicklung des De-facto-Staates schlecht gestanden. Zwei Tatbestände waren von großem Einfluss: Erstens gab es keine auswärtige Macht, die einen unabhängigen Kurdenstaat gewollt oder geduldet hätte; was auch immer für und durch die Kurden erreicht werden konnte, konnte nur im Rahmen des irakischen Staates verwirklicht werden. Zweitens wäre Kirkuk mit seinen Ölanlagen die einzig mögliche wirtschaftliche Einkommensbasis für einen kurdischen Staat gewesen; Kirkuk sollte indes nach Ansicht auswärtiger Mächte irakisch bleiben. Anders ausgedrückt: Keine auswärtige Macht hätte die Übernahme Kirkuks durch die Kurden geduldet, da dies ein Angriff auf Iraks Lebensnerv gewesen wäre.
Was haben die Kurden aus dem äußerst begrenzten «Freiraum» ihres fragilen De-facto-Staates gemacht? Welches waren die Lebensbedingungen, oder besser: Bedingungen ihres Überlebens? Die wirtschaftliche Lage bot damals wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich die Enklave in irgendeiner Weise als funktionsfähig erweisen könnte. Die in den
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