Die Juden im politischen System des Alten Reichs by Avraham Siluk
Autor:Avraham Siluk
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2021-10-04T09:04:48.055000+00:00
7.4
Die (Disâ)Funktionalität einer erfolgreichen Organisation
Die kaiserzentrierte Politik der Juden intensivierte sich zwischen 1541 und 1550/51, wie die jüdischen Aktivitäten vor dem Reichshofrat zeigen. Angesichts der befestigten Stellung Karls V. im Reich war die jüdische Suche nach Nähe zu ihm die logische Konsequenz ihres Strebens nach Schutz und nach einer politischen Stabilität. Das erkennt man beispielsweise daran, dass die Mehrzahl der jüdischen Supplikationen nach 1544 entweder Bitten um Rechts- und Schutzerweiterungen (Privilegierung), oder Beschwerden wegen Verletzung derselben darstellten. Demgegenüber nahm die Zahl der Gesuche wegen âklassischerâ Verfolgungsgründen wie Blutbeschuldigung, unrechtmäÃiger Verhaftungen oder Ausweisungsbedrohungen im gleichen Zeitraum stark ab.215
Die enge Beziehung zum Kaisertum versetzte die Juden auch häufig in eine bessere Verhandlungsposition bei ihren Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Obrigkeiten. So konnten die Juden mit hilfe der kaiserlichen Autorität jede Obrigkeit dazu veranlassen, mit ihnen über ihre Rechte zu verhandeln. Beispielsweise konnten sie bewirken, dass die Geleitsrechte in Württemberg vor dem Hintergrund des Mandats von 1548 erörtert wurden. Es war auch 1550/51 für die Juden sinnvoll und gewinnbringend, mithilfe der kaiserlichen Autorität Reichsgesetzgebungsakte zu ihren Gunsten beeinflussen zu wollen. Dabei befestigten sich ihre Kontakte zum Reichshofratspersonal und ihre Arbeit gegenüber dieser Institution standardisierte sich. Die Zentralität des Kaisers und des Reichshofrats für die jüdische Politik kann dabei quantitativ aufgezeigt werden. Die steigende Zahl an Anträgen, die die Juden dem Reichshofrat vorbrachten, und auch deren Themenvielfalt lassen auf ein groÃes Vertrauen der Juden in diese Institution schlieÃen. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Gesuche angenommen und weiterbearbeitet wurde, ist zudem ein Indiz für die gesteigerte Professionalität jüdischer Antragssteller.
Die Professionalität und Effizient der jüdischen Reichsorganisation steigerten sich dabei offensichtlich durch ihre Kenntnisse über die politische Kultur im Reich. So lässt die rege und zum Teil komplexe und innovative jüdische Nutzung des Supplikationsinstruments auf dem Reichstag auf eine groÃe Vertrautheit mit dieser Form der rechtlich-politischen Partizipation schlieÃen.216 Auch lassen die Bemühungen der jüdischen Vertretung um die Drucklegung des kaiserlichen Mandats vom 30. Januar 1548 und des Abkommens mit Württemberg vom 11. August 1551 erkennen, dass die Juden die Vorteile und die Wirkmächtigkeit des Druckmediums sehr wohl begriffen.217
Die konzentrierte Ausrichtung der jüdischen Politik auf den Kaiser und seinen Reichshofrat brachte dabei kein Versprechen auf Erfolg. Sie beeinflusste aber offensichtlich die jüdische Vorgehensweise stark und engte sie insofern ein, als die Juden Angelegenheiten, die eindeutig in territorialen Zuständigkeiten fielen, über den Reichhofrat und mithilfe der kaiserlichen Autorität zu regeln versuchten. Dies konnte ihnen zwar eine gute Ausgangsposition bei Verhandlungen mit Territorialfürsten verschaffen, aber, wie das Beispiel Württemberg zeigt, erreichte diese Unterstützung schnell die Grenzen ihrer Wirkmächtigkeit. Im Resultat mussten die Juden weitreichende Kompromisse eingehen und beispielsweise neuen Formen von Zöllen und Mauten zustimmen, die ihren kaiserlichen Freiheiten widersprachen.
Es manifestierte sich in den jüdischen Aktivitäten auf dem Augsburger Reichstag 1550/51 eine neue Entwicklung in der jüdischen Handlungsweise gegenüber dem Reichhofrat. Gelangten Streit- oder Verfolgungsfälle in früheren Jahren erst dann zum Reichshofrat, nachdem sie vor den lokalen Obrigkeiten und Gerichten verhandelt worden waren, begannen diese Verhandlungen nun erst nach einer jüdischen Einschaltung des Reichhofrats. Somit erkennt man, dass die Reihenfolge, in der die jüdischen Vorgehensweisen verliefen, sich umkehrte.
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