Die gelassene Art, Ziele zu erreichen by Wolfgang Schmidbauer

Die gelassene Art, Ziele zu erreichen by Wolfgang Schmidbauer

Autor:Wolfgang Schmidbauer [Schmidbauer, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2017-02-12T00:00:00+00:00


6. Balanceakte – Kompetenzen entwickeln

Gut ist besser als perfekt

Die Durchschnittsphobie fiel mir das erste Mal im Gespräch mit einem Manager auf. Er schilderte sich als zurückgezogenes, stilles Kind, das am liebsten im Sandkasten hinter dem Haus spielte, als typischen Spätentwickler. Er sei ein erbärmlich schlechter Schüler gewesen. Während des Studiums sei er aufgeblüht und habe summa cum laude promoviert.

Ähnlich sei er auch in der Firma zuerst gar nicht gut angekommen. Aber nach einigen Jahren habe er alle durch seine Erfolge so verblüfft, dass ihn der jetzige Aufsichtsratsvorsitzende für das Vorstandsamt aussuchte. Jetzt seien alle von ihm enttäuscht, das mache ihm schrecklich zu schaffen.

Er hatte in seiner Vorstandstätigkeit eine ähnliche Entwicklung vom Aschenputtel zur Prinzessin erwartet. Obwohl er die objektiven Hindernisse und die emotionalen Spannungen im Führungsteam intellektuell erfassen konnte, gelang es ihm nicht, seinen eigenen Beitrag in der Führung des Unternehmens realistisch einzuschätzen. Er konnte nicht wahrnehmen, dass er seine Sache weder exzellent noch miserabel machte, sondern durchaus angemessen.

Die Rede vom miserablen Schüler und vom exzellenten Studenten schien mir diese Situation vorwegzunehmen. Ich fragte ihn, was er denn für Schulnoten gehabt habe.

»Schlechter als befriedigend war ich nie«, sagte er.

Die Fantasie, ganz anders zu denken, zu fühlen, in den Urlaub zu reisen oder sein Sexualleben zu pflegen als der Durchschnitt ist völlig normal, sozusagen durchschnittlich, ein wesentlicher Bestandteil der seelischen Ausrüstung des individualisierten Menschen. Diese Illusion wird in der Reiseindustrie sozusagen am Fließband produziert. Touristen sind die vielen wie ich, die meine Individualreise stören.

Die Angst, »normal« im Sinn von durchschnittlich zu sein, ist ein ganz wesentliches Hindernis beim Dranbleiben. Dranbleiben ist realitäts- und aufgabenbezogen. Solange ich in einer Tätigkeit aufgehe, ist die Frage nach »Durchschnitt« oder »Spitzenleistung« belanglos. Es geht darum, die Sache zu machen. Professionelle Arbeit ist an Normalität orientiert. Das Ergebnis soll den Regeln der Handwerkskunst entsprechen, nicht mehr und nicht weniger. Perfektion ist etwas für Marktschreier; wo sie laut verkündet wird, wächst eher der Verdacht, dass da jemand seine Unfähigkeit zu ordentlicher Arbeit vertuscht.

Die Konsumgesellschaft ist voller Pseudoperfektion. Sie generiert unsinnige Vergleiche und hat die Taktik frommer Einrichtungen perfektioniert, in denen erst Sündhaftigkeit eingeredet und dann Erlösung versprochen wird. Die Wurzel des Perfektionismus in der Kompensation von Ängsten lässt sich an den Listen verdeutlichen, auf denen Magazine die, sagen wir, besten Chirurgen Deutschlands »ermittelt« haben.

Wer eine Gallenoperation benötigt und sich fürchtet, an einen unfähigen Arzt zu geraten, nimmt weite Reisen, Wartezeiten und zusätzliche Kosten in Kauf, um sich von dem besten Chirurgen der Ratingskala behandeln zu lassen. Der Eingriff selbst würde von dem bewährten Facharzt, der im Krankenhaus nebenan arbeitet, nicht anders durchgeführt als von dem Lehrstuhlinhaber, der zwanzig Studien zu dem Thema veröffentlicht hat. Wunden heilen nicht schneller, wenn der Professor operiert, aber man hat etwas getan gegen die Angst vor der Operation.

Mediziner, denen ich an diesem Beispiel den Zusammenhang zwischen Angst und Perfektionismus erläutere, reagieren fast einhellig mit der Vermutung, dass der verunsicherte Kranke bei dem Spitzenchirurgen mehr Komplikationen hat als bei dem namenlosen Facharzt. Universitätskliniken, sagen sie, nehmen Forschung ernster als Kranke und haben, was den Heilerfolg angeht, nicht den besten Ruf.



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