Die Falle by Raabe Melanie

Die Falle by Raabe Melanie

Autor:Raabe, Melanie
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: btb Verlag
veröffentlicht: 2015-02-04T16:00:00+00:00


19

Nein, ich drücke nicht ab. Ich ziehe die Waffe, ich richte sie auf Lenzen, meine Hand zittert, aber ich drücke nicht ab. Ich habe mir geschworen, nicht abzudrücken. Die Waffe nur als Druckmittel zu benutzen. Ich bin eine Frau der Worte, nicht der Waffen. Ich hatte mir sehr lange sehr schwergetan mit der Entscheidung, mir eine Schusswaffe zu besorgen, aber schließlich hatte ich eingesehen, dass es notwendig war.

Was sich nun bewahrheitet hat.

Ich drücke nicht ab, aber die Wirkung, die der bloße Anblick der Waffe auf Lenzen hat, ist die gleiche, als hätte ich bereits geschossen. Er ist vollkommen versteinert, wie tot. Sieht mich aus leeren Augen an. Ich greife die Waffe fester, sie ist schwer. Ich starre Lenzen an. Er starrt mich an. Blinzelt. Begreift. Der Tisch, an dem wir sitzen, hat sich um 180 Grad gedreht.

»Mein Gott«, sagt Lenzen. Seine Stimme zittert. »Ist …« Er schluckt. »… ist die echt?«

Ich antworte nicht. Ich beantworte keine Fragen mehr. Der Ernstfall ist eingetreten. Die Zeit für eine saubere, elegante Lösung mit DNA-Proben oder einem freiwilligen Geständnis ist vorbei. Ich benutze das Wort Ernstfall nicht leichtfertig. Ich bin bereit, mir die Hände schmutzig machen. Kein Geplänkel mehr. Keine Spiele.

Lenzen sitzt mit erhobenen Händen vor mir.

»Um Himmels willen!«, sagt er. Seine Stimme klingt heiser und belegt. »Ich verstehe nicht, was hier …« Er gerät ins Stocken, bricht ab, ringt um Fassung.

Der Schweiß steht ihm auf der Stirn, ich sehe am Heben und Senken seiner Brust, wie heftig er atmet. Er sieht vollkommen geschockt aus. Sollte er wirklich keinen Gedanken daran verschwendet haben, dass ich bewaffnet sein könnte? An diese Möglichkeit muss er doch gedacht haben, als er in das Haus der Frau gekommen ist, deren Schwester er ermordet hat! Lenzens vollkommen entsetztes Gesicht irritiert mich. Was wenn …?

Ich schiebe jeden Zweifel beiseite. Lenzen wird dieses Haus nur als geständiger Mörder wieder verlassen – einen anderen Ausweg gibt es nicht.

Ich denke an das, was ich von Dr. Christensen gelernt habe. Reidsche Verhörtaktik. Stress erzeugen. Mit einem endlosen Strom von Fragen zermürben. Jede Abweichung ahnden. Banale und entspannende mit provozierenden, Stress hervorrufenden Fragen unterbrechen. Falsche Beweise vorlegen, Erpressung, Gewalt – alles ist erlaubt.

Stressen. Zermürben. Stressen. Zermürben. Irgendwann den Ausweg des Geständnisses bieten. Stressen. Zermürben. Und schließlich zerbrechen.

Aber erst muss ich herausfinden, ob er seinerseits bewaffnet ist.

»Stehen Sie auf!«, sage ich. »Sofort!«

Er gehorcht.

»Ziehen Sie Ihr Jackett aus und legen Sie es auf den Tisch. Langsam.«

Er tut es. Ich nehme sein Jackett, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Taste es mit der Linken ab, während meine rechte Hand die Waffe hält. Aber da ist nichts in seiner Jackentasche. Ich lasse das Jackett zu Boden fallen.

»Leeren Sie Ihre Hosentaschen aus, aber langsam.«

Er tut es, legt sein Feuerzeug auf den Tisch. Sieht mich unsicher an.

»Drehen Sie sich um!«

Er gehorcht. Ich kann mich nicht dazu überwinden, ihn abzutasten, aber ich sehe, dass er weder in der Hose noch im Gürtel eine Waffe hat.

»Schieben Sie mir Ihre Tasche rüber«, sage ich. »Langsam.«

Er nimmt seine Tasche, schiebt sie in meine Richtung. Ich hebe sie auf, vorsichtig, öffne sie, taste darin herum – nichts, nur harmloser Kram.



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