Die Entzauberung Asiens: Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert (German Edition) by Osterhammel Jürgen
Autor:Osterhammel, Jürgen [Osterhammel, Jürgen]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406627248
Herausgeber: C. H. Beck
veröffentlicht: 2012-02-19T23:00:00+00:00
5. Anquetil-Duperron und die Entdämonisierung des europäischen Asienbildes
Die radikalste Abrechnung mit Montesquieus Theorie unternahm dessen Landsmann Abraham-Hyacinthe Anquetil-Duperron. Er hatte, wie eine Generation später Volney, den Vorteil, Asien – in seinem Fall Indien, wo er beinahe sechs Jahre lang gelebt hatte – zu kennen und asiatische Sprachen zu verstehen.[99] In seinem 1778 veröffentlichten umfangreichen Werk Législation orientale setzte er sich das Ziel nachzuweisen, daß es, erstens, in der Türkei, in Persien und in Mogul-Indien geschriebenes Recht gebe, welches den Herrscher ebenso wie seine Untertanen binde, und daß, zweitens, in allen drei Staaten Privatleute Eigentumsrechte an mobilen wie immobilen Gegenständen besäßen, über die sie frei verfügen könnten. Damit sei eine Sonderform «(orientalischer) Despotismus» hinfällig, und die politischen Systeme des muslimischen Asien könnten in die allgemeine Theorie der monarchischen Regierungsform reintegriert werden.[100]
Anquetil-Duperron war ein hochgelehrter Mann. 1771 hatte er seine epochemachende Übersetzung des altiranischen Zend Avesta veröffentlicht: die erste Befassung mit einem asiatischen Text völlig unabhängig von biblischen und mittelmeerisch-antiken Traditionen und damit das Gründungsdokument einer wahrhaft polyphonen Weltgeschichtsschreibung.[101] Zur Beschäftigung mit dem Problem der asiatischen Despotie trieben ihn die Erfahrungen, die er mit der um 1760 vor seinen Augen beginnenden britischen Kolonialherrschaft in Indien gemacht hatte. Anquetil-Duperrons Anti-Kolonialismus war nicht ganz lupenrein, entpuppte er sich doch zunehmend als ein Englandhaß, der den Franzosen gewisse koloniale Vorteile durchaus gönnen wollte; anders als Großbritannien sei das postrevolutionäre Frankreich imstande, mit den indischen Staaten Beziehungen auf der Grundlage von Gleichberechtigung und gegenseitigem Nutzen einzugehen.[102] Doch dies ändert nichts an der Tatsache, daß Législation orientale von dem Impuls durchdrungen ist, die muslimischen Völker und Staaten Asiens gegen ihre europäischen Verächter zu verteidigen, ihrer Zurichtung zum großen Gegen- und Feindbild des Westens den Boden zu entziehen und die These von einer qualitativ anderen historischen Entwicklung in Orient und Okzident zu bestreiten. Anquetil betrieb mit einer Energie wie keiner seiner Zeitgenossen die Entexotisierung und Entdämonisierung des europäischen Asienbildes.
Anquetil beginnt sein Werk mit einer Widmung Aux peuples de l’Indoustan, in der er prophetisch den Unterschied zwischen den alten Eroberern Indiens, den Mogulen, und den neuen, den Europäern, ausspricht: Waren die grimmigen Mogule aus dem Norden durch das Klima und die sanften Sitten Indiens besiegt worden und hatten sie sich dem Lande angepaßt, so würde dies mit den fanatisch auf Ausbeutung erpichten Fremdherrschern aus Übersee nicht gelingen. Sie erst würden Indien umkrempeln.[103] Anquetils Einleitung ist eine rhetorisch glänzende Abrechnung mit der Karikatur des Orients, die sich in der westlichen Wahrnehmung verfestigt hatte. Die absurden Übertreibungen der publicistes hätten Methode besessen, da sie dem europäischen Sonderbewußtsein entgegengekommen seien: «Europa schwelgt in der Weisheit seiner Gesetze, während der Rest der Welt, insbesondere der Orient, angeblich den Launen einiger weniger Individuen ausgeliefert sein soll!»[104] Anquetil schiebt die Schuld nicht auf die vielgeschmähten Reisenden, sondern auf die Mißverständnisse, denen ihre Berichte bei den großen Theoretikern in der Heimat ausgesetzt waren. Im Prinzip hätte man durch eine vorurteilslose und sorgfältige Auswertung seriöser Reiseberichte zu einem realitätsnahen und vernünftiger Plausibilität entsprechenden Bild gelangen können. Eben dies beansprucht Anquetil für seine eigene Untersuchung; sie wird zur
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