Die Charite 01 - Hoffnung und Schicksal by Schweikert Ulrike

Die Charite 01 - Hoffnung und Schicksal by Schweikert Ulrike

Autor:Schweikert, Ulrike [Schweikert, Ulrike]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik
Herausgeber: Rowohlt Verlag GmbH
veröffentlicht: 2018-06-25T22:00:00+00:00


Kapitel 16

Misserfolg

«Guten Morgen, wie geht es Ihnen heute?»

Betont munter betrat Elisabeth die kleine Krankenstube, in der Elvira halb sitzend, halb liegend in ihrem Bett kauerte. Elisabeth nahm eine Schüssel mit warmem Wasser und tupfte vorsichtig die Wundflüssigkeit ab, die ihr über das Gesicht rann. Dann half sie ihr, das morgendliche Mus zu essen und einen Sud aus Weidenrinde und Bitterklee zu trinken.

«Sie sind sehr tapfer», lobte Elisabeth die junge Frau, die in den vergangenen Tagen nicht ein Mal geklagt hatte, obgleich sie ein Martyrium durchlitt. «Konnten Sie etwas schlafen?»

Elvira deutete ein Kopfschütteln an. «Nein, die Lage ist zu unbequem. Mein ganzer Körper verkrampft sich immer wieder. Außerdem fürchte ich, dass ich mich im Schlaf unbedacht bewegen könnte.»

Elisabeth überprüfte die Fixierung zwischen Kopf und Arm und versicherte: «Es ist noch immer alles fest verbunden.»

Sie betrachtete den Hautlappen, der sich zwischen der neuen Nase und dem Arm spannte. Die bleiche Farbe des ersten Tages war einem entzündlichen Rot gewichen. Der Lappen wirkte prall und glänzte, doch das sei völlig normal, versicherte Dr. Dieffenbach bei seiner Visite.

Bereits am Abend ließ die rötliche Färbung nach, und die Haut wirkte wieder etwas schlaffer.

«Das wird sich so lange wiederholen, bis die Nase von ihrer neuen Umgebung genügend mit Blut versorgt wird», sagte Dr. Dieffenbach. «Dann erst können wir die Verbindung zum Arm kappen und mit der Feinmodellierung beginnen.»

Zwei Tage später, als Elisabeth wieder einmal an Elviras Bett saß und ihr das Gesicht wusch, fiel ihr der typisch brandige Geruch auf, der einem in allen Krankenzimmern der Äußeren Station geradezu den Atem raubte, den sie in dieser Kammer bisher jedoch nicht wahrgenommen hatte. Sie beugte sich tiefer herab.

«Was ist?», erkundigte sich Elvira ängstlich.

«Haben die Schmerzen heute Nacht zugenommen?», wollte Elisabeth wissen.

«Ich weiß nicht», sagte Elvira unsicher. «Es kommt mir so vor, als würde meine Lippe schmerzen.»

«Vielleicht sollte Dr. Dieffenbach einen Blick darauf werfen», schlug Elisabeth vor und machte sich auf die Suche nach dem Doktor, doch er war noch nicht im Haus, und Professor Rust hielt gerade eine Vorlesung. Außerdem traute auch sie dem halb blinden Leiter der Chirurgie nicht allzu viel zu. Aber Dr. Heydecker hatte Dienst. Elisabeth zögerte, dann überwand sie sich, ihn zu suchen.

Sie fand ihn im großen Saal der Äußeren Abteilung. Er war gerade dabei, den Beinstumpf eines Holzfällers zu begutachten und frisch zu verbinden. Dieffenbach hatte das Bein mit der brandigen Axtwunde vor drei Tagen abgenommen, und schon schimmerte die neu entstandene Wunde rot und gelb vor Eiter. Überhaupt war der Gestank in diesem Saal so alles durchdringend, dass sich Elisabeth fragte, ob sie sich bei Elvira getäuscht hatte. Vielleicht hatte sie einfach nur noch den Geruch der anderen Säle in der Nase gehabt. Es war eine Erleichterung, als die Räucherfrau ihre Runde zwischen den Betten drehte und mit dem reinigenden Rauch der Kräuter den Gifthauch der Wunden vertrieb.

Elisabeth zögerte, Dr. Heydecker zu stören. Und wenn doch etwas nicht in Ordnung war und sie es versäumte, einen Arzt zu holen, und damit gar die ganze Heilung in Gefahr brachte?

«Dr. Heydecker, verzeihen Sie bitte die Störung», sagte sie schließlich steif.



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