Die blaue Liste by Wolfgang Schorlau

Die blaue Liste by Wolfgang Schorlau

Autor:Wolfgang Schorlau [Schorlau, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: mobi
Tags: General Fiction
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2009-05-03T22:00:00+00:00


[Menü]

26

Die Mücke schien versessen darauf zu sein, ihn zu wecken. Es gelang ihm, den Summton des Insekts in seinen Traum einzufügen: Ein Flugzeug stürzte vom Himmel, der Motorenlärm wurde immer lauter, und er saß in der Kanzel und raste hinunter in eine grüne Hölle, aus der ihm beständig Gegenstände entgegenkamen, ein Propeller, ein Messer, ein Laptop, ein Austernmesser, das Sitzkissen der Lauda-Air, ein Cateringwagen und ein Weinglas, in dem Reste von Rotwein schwappten. Er suchte die Fledermaus, die stets seine Träume begleitet, und da war sie, am äußersten Rand seines Blickfeldes. Sie presste die Flügel gegen den Leib und schoss nun, es dem Flugzeug gleichtuend, hinunter, dem Urwald entgegen.

Die Gegenstände rasten auf ihn zu und er bemühte sich verzweifelt, ihnen auszuweichen, doch so sehr er sich nach rechts oder links warf, es gelang ihm nicht, sich zu bewegen. Je näher die Teile kamen, desto mehr änderten sie ihr Aussehen; sie wurden spitzer, der Laptop zog sich zusammen zu einem Pfeil aus grauem Plastik, das Sitzkissen wurde zu einer zylindrischen Bedrohung, selbst das Weinglas verformte sich zu einem albtraumartigen Geschoss, das ihn an der Nase traf. Er schlug danach, und schon raste die nächste Gefahr auf ihn zu, direkt auf seine Stirn. Er schrie im Schlaf, schlug nach dem Ding und wachte auf, schnell genug, um die Mücke noch zu sehen, die eiligst vor seinen Schlägen floh.

Draußen schien die Sonne. Ein erschrockener Blick auf die Uhr. Viertel nach eins. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so lange geschlafen hatte. Vorsichtig drehte er den Kopf, doch selbst bei der kleinsten Bewegung schien sein Gehirn gegen die innere Schädelwand anzuschlagen und verursachte einen lähmenden Schmerz. Vorsichtig ließ er sich auf das Kopfkissen zurückgleiten.

* * *

Am Montag Vormittag frühstückte er bereits um neun bei Brenners. Er las den neuen Spiegel und die Süddeutsche. Der Abstieg des SC Freiburg schien besiegelt zu sein. Fünf Jahre hat sich der Club in der obersten Liga gehalten, und in der ersten Hälfte der Saison konnten sie gegen die großen und reichen Mannschaften bestehen, doch nun ging ihnen die Kraft aus. Sie verloren sogar ihre Heimspiele.

Sie werden nur ein Jahr in der Zweiten spielen, dachte Dengler, im nächsten Jahr sind die Jungs von Trainer Finke wieder da. Werde ihnen die Daumen drücken.

Den Rest des Vormittags verbrachte er in der Landesbibliothek. Die freundliche rothaarige Bedienung hatte ihm den Weg erklärt. Er brauchte nur die Brennerstraße hinunterzugehen, am Parkhaus rechts abzubiegen, die Charlottenstraße zu überqueren, an der Städtischen Bibliothek vorbei und am Staatsarchiv. Im Lesesaal fand er, was er suchte.

In einem riesigen Regal standen, fein geordnet, die wichtigsten Zeitungen auf Mikrofiches abgespeichert, der Spiegel, die Zeit, die Süddeutsche und sogar die FAZ, seit ihrer Gründung bis heute. Er suchte ab dem 26. Mai 1991 und las alle Artikel über den Absturz der Lauda Air, aber obwohl die Blätter voll mit Berichten über die Flugzeugkatastrohe waren, fand sich die Information nicht, die er suchte – in keinem der Zeitungsartikel auch nur ein Satz darüber, ob die Maschine pünktlich in Bangkok startete.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.