Deutsche Orthografie by Peter Eisenberg Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
Autor:Peter Eisenberg,Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2017-03-15T00:00:00+00:00
2.6Silbentrennung
Die Silbentrennung ist ein eher marginaler Bereich unserer Orthografie, denn beim Schreiben mit der Hand kann man sie im Allgemeinen vermeiden, ohne auffällig zu werden. Und in der Textverarbeitung stehen Trennprogramme zur Verfügung, die dem Schreiber das Trennen ganz abnehmen. Trennprogramme machen allerdings noch immer Fehler. Schon deshalb ist es instruktiv, sich vor Augen zu führen, wie die Silbetrennung funktioniert.
Im Einklang mit der verbreiteten Bedeutung von Komposita mit dem zweiten Bestandteil trennung sprechen wir von Silbentrennung analog zu Gütertrennung, Isotopentrennung, Geschlechtertrennung usw., und nicht von Worttrennung am Zeilenende. Wörter werden mit Spatien voneinander getrennt, nicht mit dem Trennstrich (dem Divis, das ist der kurze Strich im Mittelband des Liniensystems).
Trennstellen werden innerhalb von Wortformen aufgesucht, die im Regelfall aus Buchstabenfolgen zwischen Spatien bestehen, eben innerhalb von graphematischen Wörtern. Während die phonologischen Wörter des Gesprochenen auch bei Explizitlautung und erst recht bei Standardlautung Verschleifungen, Verkürzungen und Zusammenziehungen aufweisen, ist das graphematische Wort stabil. Trotzdem hat man lange versucht, die Trennregeln auf die gesprochene Form zu beziehen, und zwar mit Formulierungen wie „Geschriebene Wörter trennt man am Zeilenende so, wie sie sich bei langsamem Sprechen in Silben zerlegen lassen.“ (Deutsche Rechtschreibung 1996: 119). Auf das Geschriebene wird gar nicht Bezug genommen, es soll nach dem Gesprochenen getrennt werden, das aber gar nicht vorhanden ist. Dass man langsam sprechen soll, ändert daran nichts. Selbst bei langsamem Sprechen in Explizitlautung hört man beispielsweise in einem Wort wie [ratə] (Ratte) nur ein [t] und in [mapə] (Mappe) nur ein [p].
Wie in Abschnitt 1.2 dargelegt, verfügen wir inzwischen über einen ausgearbeiteten Begriff von Schreibsilbe. Wir sind also prinzipiell in der Lage, die Regeln der Silbentrennung ganz ohne Bezug auf Lautliches zu formulieren. Das würde allerdings eine Darlegung der Einzelheiten des Baus von Schreibsilben und ihrer Kombinatorik im graphematischen Wort verlangen. Das ist aufwendig und hätte vor allem den Zweck, zu demonstrieren, dass so etwas möglich ist. Einfacher würden die Regeln für den Normalschreiber nicht, ganz im Gegenteil.
Bei der Revision des Regelwerks im Jahr 2006 hat man sich deshalb damit begnügt, das Geschriebene überhaupt ins Spiel zu bringen. Die Grundregel der Silbentrennung bezieht sich jetzt nicht mehr auf langsames Sprechen, sondern auf langsames Vorlesen. Damit wird schon einiges erreicht, beispielsweise zur Trennung von Wörtern wie so-zi-a-les, Le-gu-a-ne. Das a ergibt sich als Einzelsilbe nicht einfach beim Sprechen, sondern beim langsamen Vorlesen, d. h. bei Berücksichtigung aller vorhandenen Buchstaben. Viele Sprecher würden auch bei langsamem Sprechen etwas sagen wie [zots-jaː-ləs] oder [le-guaː-nə]. Bei dieser Aussprache würde sich das a nicht als Silbe ergeben.
Die Hauptregel der Silbentrennung (R67 in 3.6) liefert für den größten Teil der Wortformen schon richtige Trennstellen. Die vier weiteren Regeln sind als Unterregeln zur Grundregel anzusehen, die besondere Fälle erfassen, wie sie bei bestimmten Fremdwörtern oder dort auftreten, wo die Wortstruktur schwer erkennbar ist. Keine der Unterregeln nimmt Bezug auf Lautliches, mit Ausnahme eines Verweises auf die Wortbetonung in R70.
Bemerkenswert ist, dass die Regeln zur Silbentrennung wiederholt auf das Sprachgefühl der Schreiber Bezug nehmen. In Vielen Fällen wissen wir, wo getrennt werden soll, können es bei dem hier gewählten pragmatischen Ansatz aber nicht immer erklären.
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