Der Zoo der Anderen by Jan Mohnhaupt

Der Zoo der Anderen by Jan Mohnhaupt

Autor:Jan Mohnhaupt
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2017-02-01T16:00:00+00:00


Weißer Wal im grauen Rhein

Am Morgen des 18. Mai 1966 sind zwei Rhein-Schiffer mit dem Tankschiff »Melani« auf dem Fluss unterwegs, als bei Rhein-Kilometer 778,5 neben dem Boot etwas Weißes aus dem grauen Wasser auftaucht, drei, vielleicht vier Meter lang, das schnaubend Luft und Wasser ausstößt. Sofort funken sie die Wasserschutzpolizei an und melden: »Hier schwimmt ein weißes Ungeheuer im Rhein.« Dort hält man das für eine Folgeerscheinung der letzten Nacht – wahrscheinlich haben die beiden Männer am Abend zu viel getankt. Als die Beamten eintreffen, lassen sie die Männer erst einmal pusten. Negativ. Und dann sehen sie es selbst: ein weißer Rücken, von Narben und Striemen zerfurcht, taucht an der Wasseroberfläche auf und stößt erneut seinen Blas aus. Vielleicht ist es ein Wal, vermuten die Polizisten, aber wie kommt der in den Rhein? Drei Tage zuvor soll einer bei Rotterdam gesichtet worden sein, dort an der Mündung kommt das schon mal vor. Aber hier, 450 Kilometer flussaufwärts, im größten Binnenhafen Europas, und dann noch ein schneeweißes Geschöpf? Sofort rufen sie beim Innenministerium an. Dort hält man den Anruf zunächst für einen Telefonscherz und antwortet genervt: »Wer spricht denn da überhaupt?«

Tags darauf wird Wolfgang Gewalt verständigt. Er kennt diese Anrufe schon. Um diese Jahreszeit melden sich oft besorgte Bürger oder Feuerwehrleute im Zoo, weil sie auf dem Dachboden angeblich ein verlassenes Adlerküken gefunden haben; und wenn man dann hinfährt und nachsieht, ist es nur ein junger Mauersegler. Nun soll also ein weißer Wal im Rhein schwimmen. Wahrscheinlich handelt es sich nur um ein ertrunkenes Schwein, das aufgedunsen im Wasser treibt, vermutet Gewalt. Etwas missmutig lässt er sich per Polizeiboot zu der Stelle fahren, wo das Tier zuletzt gesichtet worden ist. Doch diesmal ist es kein Fehlalarm. Der junge Zoodirektor kann es selbst kaum glauben – da schwimmt tatsächlich ein Wal, genauer gesagt ein Weißwal, auch Beluga genannt. Bis zu sechs Meter kann solch ein Tier messen und mehr als eine Tonne wiegen. Als Gewalt das knapp vier Meter lange und geschätzt 750 Kilogramm schwere Tier sieht, platzt es mitleidig aus ihm heraus: »Mann, is det een Wurm!«

Gewalt plant schon seit längerem, ein neues, größeres Becken für die Delfine zu bauen. Bei denen allein soll es nicht bleiben. Das alte Becken will er als Walarium nutzen. Und hier vor seiner Nase schwimmt sein erster Bewohner – einen Beluga haben selbst unter seinen Zookollegen bislang nur wenige zu sehen bekommen. Deshalb wäre es »grotesk, wenn der Duisburger Zoo einen vor der Haustür herumirrenden Wal sich selbst überließe und ein entsprechendes Exemplar aus Alaska herbeischaffte«, erklärt Gewalt in der Öffentlichkeit.

So beginnt die Jagd auf den Wal, der wegen seiner weißen Hautfarbe in Anlehnung an Herman Melvilles Roman-Ungeheuer von den Medien auf den Namen »Moby Dick« getauft wird. Da die Fischer am Niederrhein nun mal nicht auf Wale vorbereitet sind, muss sich Gewalt behelfen: Aus den Netzen eines benachbarten Tennisclubs und Zaunpfählen basteln der Zoodirektor und seine Helfer ein Fangnetz. Mit mehreren Booten probieren sie, »Moby Dick« ins Hafenbecken zu treiben, um ihn dort zu fangen.



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