Der Zimmerspringbrunnen by Sparschuh Jens
Autor:Sparschuh, Jens [Sparschuh, Jens]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-462-30607-1
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Lange überlegte ich.
Ich mußte Julia einen Brief schreiben, um endlich Klarheit über unsere Verhältnisse zu erlangen. Mehrmals setzte ich an, schrieb rasch etwas auf, verwarf es dann jedoch wieder. Mehrere angefangene Varianten lagen auf dem Tisch.
Ich erinnerte mich daran, wie wir uns kennengelernt hatten … im D-Zug Leipzig – Berlin … das Kreuzworträtsel in der Wochenpost … sibirischer Fluß mit zwei Buchstaben … »Ob ich Ihnen behilflich sein dürfte?« … Lauter verdrehte Einzelheiten fielen mir wieder ein. Unser erster, verregneter Zelturlaub an der Ostsee, in Baabe, wo wir uns nur von Blutwurst aus Büchsen und Senf aus Bautzen ernährten. Die Nacht im Strandkorb. Das Baden beim Sonnenaufgang …
Das allgegenwärtige Wasser brachte mich schließlich wieder zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen, zum gegenwärtigen Tiefstand unserer Beziehung zurück. Ich wollte ja auch gar keinen Roman schreiben, sondern nur klipp und klar wissen, 1.) wie Julia allgemein zu mir steht? und 2.) ob sie meinem weiteren beruflichen Werdegang gegenüber aufgeschlossen ist?
Ich weiß nicht – wahrscheinlich hatte ich den richtigen Ton doch nicht getroffen, oder ich hatte es zu scharf formuliert … Jedenfalls, als ich etwa anderthalb Stunden, nachdem ich meinen Zettel auf dem Küchentisch abgelegt hatte, wieder in die Küche kam (unter dem Vorwand, mir eine Tasse Kaffee zu kochen, hauptsächlich natürlich, um zu sehen, ob und wie Julia meine kleine Botschaft aufgenommen hatte), sah ich, daß Julia auf die Rückseite meines Zettels ein großes »Jawohl« geschrieben hatte (mit drei Ausrufezeichen), und darunter, kleiner, eine Telefonnummer, unter der sie zu erreichen sei – aber nur (und das war doppelt unterstrichen) »in dringenden Fällen«.
Ich nahm den Zettel hoch, ich drehte ihn um und las noch einmal meine Zeilen: »Wenn Du meine Art nicht erträgst, dann nimm Dir doch einen Stoffhasen zum Mann!«
Mein erster Gedanke, als ich wieder denken konnte, war: Ich rufe bei Hugelmann an und verlange die unverzügliche Herausgabe meiner Ehefrau. Aber es war Sonnabend – Hugelmann nicht im Büro! (Ich konnte mir natürlich denken, wo er war …)
Allerdings war das auch nicht Hugelmanns Privatnummer. Die hatte ich nämlich mal, eher zufällig, in Julias Adreßbüchlein gefunden, als ich in Julias Handtasche – diesem kleinen, schwarzen Bermudadreieck! – nach meinem Kellerschlüssel forschte, ohne ihn freilich in diesem Chaos finden zu können. (Er war ja auch, wie sich später herausstellte, ordnungsgemäß in der Gesäßtasche meiner Jogginghose, wo er schließlich hingehört.)
So nahm ich mir also unser gemeinsames Telefon-Adreßbuch vor und ging systematisch die Nummern durch. Ich hatte Glück, ich mußte nicht lange suchen. Die fragliche Nummer entdeckte ich ziemlich schnell – und zwar hinter dem Eintrag: »Conny – zu Hause!« Conny also …
Vielleicht war ja die Flucht auch schon von langer Hand, unter dem Deckmantel angeblicher »Skatabende«, vorbereitet worden?
Conny steckte also mit Julia und Hugelmann unter einer Decke! Ich stellte mir das bildlich vor – mir wurde ganz elend.
Plötzlich hatte ich Julias Stimme im Ohr. Oft hatte sie ja abends stundenlang mit Conny telefoniert: »Wir brauchen morgen abend noch einen dritten Mann …« – Jetzt erst erkannte ich das ganze abgründige Ausmaß dieses verschlüsselten Satzes.
Hilflos sank ich auf dem Flurfußboden nieder.
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