Der Wolf von Hamburg - Thriller by Juergen Ehlers

Autor:Juergen Ehlers [Ehlers, Juergen]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: KBV Verlags- Medien
veröffentlicht: 2015-04-23T16:00:00+00:00

Vincent traf Jennifer Ladiges in der Kantine. Sie saß allein an ihrem Tisch, hatte ihr Schnitzel nur halb aufgegessen und starrte trübselig vor sich hin.

»Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte Vincent.

»Hallo Vincent. Ja, natürlich.«

»Du siehst heute nicht aus wie ein glückliches Kaninchen.«

»Nein, das bin ich auch nicht.« Ihre etwas zu großen Ohren hatten ihr den Spitznamen Kaninchen eingebracht.

»Immer noch die Geschichte von gestern?«

Jennifer nickte. »Es ist so schrecklich. Wenn ich mir vorstelle, dass diesem Kind etwas passiert ist und dass ich daran schuld bin, dann – dann weiß ich nicht …«

Vincent legte ihr ganz vorsichtig die Hand auf die Schulter. »Du hast Pech gehabt, das ist alles.«

Jennifer reagierte heftig: »Pech nennst du das? Elende Dummheit ist das! Ich habe versagt auf der ganzen Linie! Mir Spielsachen angeguckt anstatt das Kind zu schützen. Es ist eine Schande, ich bin nicht geeignet für diesen Beruf, ich kündige, ich mache irgendetwas anderes, wo ich keinen Schaden anrichten kann!«

»Ganz ruhig«, sagte Vincent.

»Wie soll ich denn ruhig sein, bei dem, was ich angerichtet habe!«

»Was geschehen ist, das ist geschehen, Jennifer. Wir alle machen Fehler. Einige lassen sich wieder ausbügeln, andere nicht. Aber das ist nicht wirklich entscheidend. Wir arbeiten hier nicht für irgendeine hehre Geschichtsschreibung, die penibel notiert, ›am 23. November 2014 hat Jennifer Ladiges einen Fehler gemacht‹, sondern wir arbeiten für ein bestimmtes Ziel. Und unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass dieser sogenannte ›Wolf von Hamburg‹ keinen Schaden mehr anrichten kann. Wir tun unsere Arbeit so gut wir können, damit die Menschen in Hamburg sicher und in Frieden leben können. Aber wir sind auch Menschen. Wir arbeiten nicht fehlerfrei, doch das darf uns nicht daran hindern, unsere Arbeit weiterhin zu tun.«

»Ein solcher Fehler, der darf einfach nicht passieren!«

»Nicht? Wir alle machen Fehler, und einer meiner Fehler sitzt hier!« Vincent Weber tippte mit dem Zeigefinger auf Jennifers Bauch.

»Das ist nur eine Schramme«, sagte Jennifer rasch. »Und es war mein Fehler.«

Vincent schüttelte den Kopf. »Ich hätte dich nie dazu überreden dürfen.«

»Du hast mich nicht überredet. Ich bin es gewesen, die dich überredet hat. Ich war mir sicher, dass ich gelenkig genug sei, dass mir nichts passieren könne. Und wenn ich nicht im falschen Moment geatmet hätte …«

Vincent lachte leise. »So ist das im Leben«, sagte er. »Und man kann lange darüber diskutieren, was geschehen wäre, wenn es anders gelaufen wäre. Wenn du den Dreyer verhaftet hättest zum Beispiel. Oder wenn du mich nicht gefragt hättest, ob wir diesen Zaubertrick zusammen versuchen können. Oder wenn ich nicht versucht hätte, eine Jungfrau zu zersägen …«

»Dabei war ich gar keine Jungfrau«, sagte Jennifer.

»Dann konnte es ja sowieso nicht klappen!«

Jennifer lächelte. »Du bist ein wahrer Zauberer, Vincent! Du kannst unglückliche Menschen glücklich machen. Und ich weiß ja, dass du eine wunderbare Frau hast und einen netten Sohn, aber wir beide, wir sind auf eine ganz besondere Weise miteinander verbunden.«

Jennifer nahm Vincents Hand und schob sie unter ihr T-Shirt. Vincent spürte ihre nackte Haut. »Die Narbe ist kleiner geworden«, sagte er.

»Sie wird nie verschwinden«, erwiderte Jennifer.

»Leider«, sagte Vincent.

Jennifer schüttelte den Kopf: »Ich will gar nicht, dass sie verschwindet.

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