Der Weihnachtsschnee by Lise Gast

Der Weihnachtsschnee by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-05-26T00:00:00+00:00


* * *

Der Wald war schön in seinem neuen weißen Kleid, Bärbel mußte das widerwillig zugeben. Er war so schön, daß man beinah nicht zornig bleiben konnte, und sie wollte doch zornig sein. Sie war so bitterböse, daß der Schnee doch noch gekommen war und ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Hätte er nicht bis morgen warten können? Aber ausgerechnet heute, am vierundzwanzigsten, kam er, und damit war sie entlarvt und blamiert. Sie stapfte durch die weiße Pracht, zerfallen mit sich und der Welt.

Natürlich war es dumm von ihr, so zu denken. Aber es ärgerte sie, denn sie wollte es Weihnachten scheußlich finden, sie wollte nicht darauf hereinfallen, was die andern, die Glücklichen, sich vorlogen von Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen und dem allen. Stimmungsmache, Sentimentalität. Sie ging nicht zurück, sie würde Stine und Holle das Fest gründlich verderben, nun gerade. Wütend schlug sie nach den schneebedeckten Zweigen, die sich ihr wie bepelzte Tatzen entgegenstreckten. Ein Eichhörnchen lief an einem Buchenstamm empor. Hier war Mischwald, ein Teil Laubwald, dann wieder Fichten und Kiefern, auch einige Lärchen. Schön war der Wald, gut zum Reiten, es waren weiche Wege, auf denen man keinen Hufschlag vernahm. Bärbel war anfangs manchmal mit Stine hier geritten.

Stine, ja, die hatte gut lachen und glücklich sein! Die hatte einen Mann und drei Söhne, hatte Haus und Tiere, sie konnte sich bestimmt nicht vorstellen, wie es war, wenn man allein stand. Keine Mutter, keine Geschwister, keine Familie. Niemand, der sich um einen kümmerte und sorgte, niemand!

„Hallo!“

Bärbel fuhr zusammen, eine Stimme. Sie hatte vor sich hingeredet, wütend, verbissen, mit sich selbst gesprochen, es würde sie doch keiner gehört haben?

Doch, da stand jemand, ein Junge, etwas kleiner als sie, an die Wildfütterung gelehnt, die hier für das Rehwild aufgestellt war, mit Heu und Kastanien gefüllt. Bärbel ärgerte sich über sich selbst, daß sie so erschrocken war, es war doch kein Grund zum Erschrecken. Der Junge sah wirklich nicht zum Fürchten aus, eher ein bißchen zum Bemitleiden: er war blaß unter seiner Kapuze, die gefüttert war, ein sehr guter, sicher sehr teurer Anorak, schöne Stiefel, Handschuhe und trotzdem. Das Gesicht noch sehr kindlich, dunkle Wimpern, darunter hervor blinzelte er sie an, halb amüsiert, halb gelangweilt.

„Mit wem schwätzt du denn?“ fragte er, als sie herantrat.

„Mit mir. Ich befinde mich also in bester Gesellschaft“, sagte Bärbel ärgerlich. „Und du? Was machst du hier? Suchst du vielleicht das Christkind im Winterwald?“ Es klang bissig, ja gehässig. Und so sollte es auch klingen. Der Junge lachte leise.

„Im Gegenteil, ich bin vor ihm ausgerissen. Christkind und Weihnachtsbescherung und ‚O du fröhliche‘, furchtbar. Leidest du auch so unter deiner Familie?“

„Meiner Familie? Ich habe keine, Gottlob. Aber mir geht es wie dir, bloß weg von allen, die in Familie machen. Gräßlich.“

Sie standen und sahen einander an. Irgendwie gab es da eine Gemeinschaft, sie fühlten das beide, aber eher eine bedauerliche als eine gute. Immerhin ...

„Rauchst du eine mit?“ fragte er nach einer kleinen Weile und hielt ihr die Packung hin.

„Rauchen, abkochen, anzünden von Feuer im Walde verboten“, grinste Bärbel und nahm eine Zigarette.



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