Der Wahrheitsbegriff in Kants Transzendentalphilosophie by Sabrina Maren Bauer

Der Wahrheitsbegriff in Kants Transzendentalphilosophie by Sabrina Maren Bauer

Autor:Sabrina Maren Bauer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2020-10-26T08:23:31.480000+00:00


4.4

Fazit

Kant übernimmt in seiner Erkenntnistheorie sowohl rationalistisches als auch empiristisches Gedankengut und schmiedet aus den berechtigten Einsichten beider Lager eine neue Theorie der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, die das nunmehr dualistisch konzipierte Erkenntnisvermögen als Gesetzgeber der Natur erweist. Im Gegensatz zu den monistischen Konzeptionen des Empirismus und Rationalismus ist seine Theorie der menschlichen Erkenntnisfähigkeit geeignet, die Wahrheitsskepsis abzuwehren.

Die Parallele zum Empirismus ist primär darin zu sehen, dass sowohl für Locke und Hume als auch für Kant nicht Ideen, sondern kognitive Vermögen angeboren sind. Im Unterschied zum Empirismus und in Einigkeit mit dem Rationalismus, stellt Kant aber heraus, dass sinnliche Wahrnehmung das kognitive Vermögen, Sinneseindrücke im Lichte allgemeiner Strukturen zu verarbeiten, voraussetzt und das intellektuelle Vermögen selbst apriorischer Quell spezifischer Inhalte (reiner Begriffe) ist. Der Verstand ist ein „Erkenntnisstamm“, weil ihm eine besondere Art objektiver Vorstellungen a priori entspringen – reine Begriffe als transzendentallogische Formen –, die ein notwendiges „Element“ der Analyse menschlicher Erkenntnis sind. Die transzendentale Erkenntnis weist allerdings auch die Sinnlichkeit als „Erkenntnisstamm“ aus. Auch ihr entspringen objektive Vorstellungen spezifischer Art – reine Anschauungen als Formen der Sinnlichkeit –, die ebenfalls als notwendiges „Element“ der Analyse der menschlichen Erkenntnis zu gelten haben.

Kants dualistische Konzeption des Erkenntnisvermögens ist den monistischen Konzeptionen des Rationalismus und des Empirismus in explanatorischer Hinsicht überlegen. Monistische Konzeptionen des Erkenntnisvermögens führen zu skeptizistischen Konsequenzen, weil sie ein metaphysisches Prinzip heranziehen müssen, um die Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand zu erklären. Der Status dieses Prinzips ist der eines Postulats. Statt mittels einer immanenten Analyse des menschlichen Erkenntnisvermögens zu erklären, wie Wahrheit möglich ist, verweisen sie auf eine externe Instanz. Die Annahme einer klugen Natur oder einer gnädigen Gottheit bleibt aber immer eine dogmatische Spekulation, die Skepsis provoziert. Dementgegen kann Kant die Wahrheitsmöglichkeit erkenntnisimmanent als Übereinstimmung von Anschauung und Begriff erklären, weil er die menschliche Erkenntnis als zweistämmig ausweist. Die transzendentalphilosophische Analyse des Erkenntnisvermögens eröffnet den Ausweg aus der Wahrheitsskepsis: Die Kategorien als reine Verstandesbegriffe, die nicht aus dem sinnlichen Material deriviert werden, sondern ursprünglich aus dem reinen Verstand a priori entspringen, können, dank den reinen Formen der Sinnlichkeit, a priori als objektiv gültig ausgewiesen werden. Dies ist das Programm der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe.

Locke hat als Stichwortgeber für die kantische Transzendentalphilosophie zu gelten, insofern er die Frage nach der Übereinstimmung von Erkenntnis und ihrem Gegenstand für den menschlichen endlichen Verstand exponiert und ihre Beantwortung auf dem Wege einer Analyse der subjektiven Verstandesakte in Angriff genommen hat, statt kurzerhand von angeborenen oder eingepflanzten Begriffen auszugehen.103 Aber erst Kant, durch Humes skeptische Schlussfolgerungen aus seinem dogmatischen Schlummer erweckt (vgl. AA 4:260), hat mit seiner dualistischen Erkenntniskonzeption den Boden bereitet, auf dem sie zu einer Erklärung der Möglichkeit von Wahrheit gedeihen konnte. Die tragende Säule der kantischen Erklärung, wie Wahrheit möglich ist, ist seine duale Konzeption des menschlichen Erkenntnisvermögens: Im transzendentalen Idealismus muss die Korrespondenz nicht zwischen einer zunächst extra-mental veranschlagten Seinsordnung, einer Objektivität nach Maßgabe der Ding-an-sich-selbst-Betrachtung, und deren mentaler Repräsentation erklärt werden, sondern zwischen zwei mentalen „Elementen“: Anschauung und Begriff. Zu erklären ist „nur“ das harmonische Zusammenspiel von



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.