Der Tod des Vergil by Hermann Broch
Autor:Hermann Broch [Broch, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Beschenkt und zugleich beraubt, ja, so hatten sie ihn zurückgelassen, so hatten sie ihn allein gelassen: der zornigwohlmeinende Freund hatte ihm Beruhigung gegeben und Angst weggenommen, aber über die Angst hinaus war ihm mehr weggenommen worden, gleichsam ein Stück eigenes Selbst, und fast war es, als hätte der Plotius ihn wieder aus der Erwachsenheit ausgestoßen und zum Kinde gemacht, zurückgeworfen in die pläneschmiedende Unreife, in der sie als Jünglinge in Mailand gemeinsam befangen gewesen waren, und der allein der Plotius sich wahrhaft zu entwinden gewußt hatte; oh, er fühlte sich so sehr ins Unfertige zurückgeworfen, daß es ihm bloß natürlich erschienen wäre, wenn der Freund auch die Äneis auf seine starken Schultern genommen und nebst der Angst davongetragen hätte. Stand der Koffer noch unberührt und wohlverschlossen da, oder war dies nur Täuschung? Besser war es sich nicht zu vergewissern, und das war ein Entschluß beruhigender Wehrlosigkeit, freilich auch der Scham. Und es war um so mehr Scham, als diese sonderbare Verkleinerung seines Selbst sich just vor den Augen des Lysanias vollzogen hatte, denn dieser saß - erstaunlicher-, wenn auch nicht überraschenderweise -nun noch immer in dem Lehnsessel, genau so wie er während der Nacht dort gesessen hatte. War es möglich, daß der Sessel plötzlich Platz für zwei bieten konnte? Es hatte ja soeben auch der Plotius dort gesessen. Wahrlich, da wäre es wünschenswert und sogar richtiger gewesen, wenn der Plotius niemals den Fuß ins Zimmer gesetzt hätte. Fernrauschend das Sonnenmeer, und dort, vergessenshold, lehnte der Knabe, leidensentlöst, leidensentlösend; blickte man schärfer hin, so war es das Gesicht eines tolpatschig flinken Bauernjungen, aber blickte man noch schärfer hin, so war es voller Verträumtheit und sehr schön. Auf den Knien des Knaben lag die Manuskriptrolle, aus der er nächtlich vorgelesen hatte.
Und als hätte er bloß die Aufforderung erwartet, las der Knabe:
«Zwiefach ist der Ausgang der Träume: war es ein Wahrtraum, Dann entläßt er aus hörnernem Tor die echten Gebilde; War es nur Gaukelspiel, wie die Manen manchmal es senden, Flattern die falschen Gesichte durch glänzende Elfenbeinpforte. Hierher führt Anchises den Sohn und mit ihm die Sibylle; Abschied nimmt er von ihnen inmitten von Elfenbeinschimmer. Jäh zu den Booten enteilt da Äneas, und samt seinen Mannen Steuert er pfeilgerad durch die Flut zum Hafen Cajeta; Anker rasseln vom Bug; am Strandseil ruhen die Kiele.»
So hat er es gedichtet, Cajeta zur Verherrlichung; er erkannte den Abschnitt: «So ist es gewesen... hierauf wird Cajeta bestattet, Cajeta, die Amme... denn nun war Äneas zurückgekehrt aus der Unterwelt... war zurückgekehrt und er war erwachsen... ein Wiedergeborener...» Das Sprechen ging verwunderlich leicht vonstatten, als wäre die Luft flüssiger geworden.
«Ist's nicht auch dein Weg, Vergil, den der Äneas gegangen?
Du auch drangst in das Dunkel, um heimzukehren zur Fahrt im zitternden Lichte der Meerflut...»
«Zur Finsternis ward ich getrieben, doch es war nicht mein Wille gewesen, eindrang ich in sie, eindrang ich in den Schoß, doch ich tauchte nicht unter; steinern war die Höhle/kein Fluß durchfloß sie, unentdeckbar der See in der Abgrundtiefe des starrenden Nachtauges... ich sah Plotia, doch ich fand nicht den Vater, und auch sie verschwand.
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