Der Tag, an dem uns Vater erzaehlte, dass er ein DDR Spion sei by Thomas Raufeisen
Autor:Thomas Raufeisen [Raufeisen, Thomas]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Untersuchungshaft I
12. September 1981, Samstagabend, halb 8. Ich hatte gerade Abendbrot gegessen. In einer dreiviertel Stunde würde „Einer wird gewinnen“ mit Hans-Joachim Kulenkampff anfangen. Unterhaltung für die ganze Familie. Ein Stückchen Heimat. Familie, Heimat – die Begriffe bekommen eine ganz andere Bedeutung, wenn sie so fern, so unwirklich, so unerreichbar werden, selbst für einen 18-Jährigen. Klar, hatte ich meine Eltern noch; aber mein Bruder war weg, konnte uns nicht mehr besuchen, und meine Eltern waren auch in einem Zustand, der den Begriff „normal“ im Zusammenhang mit „Familienleben“ vollständig ausschloss. Normal war hier gar nichts mehr.
„Einer wird gewinnen“ also. Meine Eltern waren ja noch an der Ostsee unterwegs, sie würden erst sehr spät wiederkommen. Es klingelte an der Tür. Wer könnte das jetzt noch sein? Kaum hatte ich die Klinke der Tür auch nur wenige Zentimeter nach unten gedrückt, wurde mir sie mir regelrecht aus der Hand gerissen. Im gleichen Moment wurde ich von fünf fremden Männern zurückgestoßen. Zwei der Männer drängten sofort an mir vorbei in die Wohnung.
„Was soll das? Wer sind Sie?“
„Die Fragen stellen wir! Sind Sie Thomas Raufeisen? Weisen Sie sich aus!“ Jetzt war es also so weit. Die DDR, die Stasi machte ernst mit uns. Oder war es ein letzter Einschüchterungsversuch?
Ich war so überrascht, dass ich nicht nach ihren Ausweisen fragte. Sie trugen keine Uniformen. Stasi-Mitarbeiter trugen ja selten Uniformen, aber man erkannte diese Leute. An ihrer Körpersprache, an ihrer kalten Neugier. Ich suchte meinen Ausweis aus meinem Portemonnaie, einer der Männer schnappte ihn sich, schaute rein und sagte:
„Sie werden jetzt mitkommen, zur Klärung eines Sachverhaltes!“
„Heißt das, ich bin verhaftet?“
„Ja.“
„Wo sind Ihre Eltern?“
„Unterwegs.“
„Wo?“
„Keine Ahnung!“
Ich hatte gerade noch Zeit, den Fernseher auszuschalten und mir eine Jacke anzuziehen, da packten sie mich schon. Ich bekam zwar keine Handschellen angelegt, dafür aber eine Knebelkette um das linke Handgelenk. Eine Drehung würde reichen, mir das Handgelenk zu brechen. Damit konnten sie mich sehr dezent abführen. Zwei der Männer gingen mit mir, die anderen blieben in der Wohnung, wohl, um auf meine Eltern zu warten oder gleich die Wohnung zu durchsuchen. Vor der Haustür wartete ein „Lada“. So ähnlich hatte ich das ja ein paar Wochen vorher schon mal erlebt, ich spürte aber: Diesmal war es anders, diesmal würde es anders ausgehen. Das war keine Warnung mehr.
Erst viele Jahre später erfuhr ich, auf welche Weise meine Eltern verhaftet wurden. Es lief ab wie in einem Krimi. Sie waren auf dem Rückweg von der Ostsee. Auf der Autobahn in Richtung Berlin wurden sie plötzlich von drei „Ladas“ der Stasi eingekreist. In diesem Moment hat mein Vater wohl noch daran gedacht, einfach Gas zu geben; gegen unseren „Audi“ hätten die zunächst einmal keine Chance gehabt. Aber wo sollten sie denn hin in diesem großen Gefängnis? Die „Lada“-Insassen machten unmissverständlich klar, dass mein Vater anhalten sollte. Der hintere Wagen fuhr mit Absicht ins Heck unseres Autos. Als alle standen, wurden meine Eltern aus dem Auto gezerrt, getrennt und jeder in einem anderen „Lada“ gesetzt. Einer der Stasi-Mitarbeiter übernahm das Steuer des „Audi“, und so ging es im Konvoi nach Berlin.
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