Der reformierte Schleiermacher by Anne Käfer Constantin Plaul Florian Priesemuth

Der reformierte Schleiermacher by Anne Käfer Constantin Plaul Florian Priesemuth

Autor:Anne Käfer, Constantin Plaul, Florian Priesemuth
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2019-12-16T12:58:52.641000+00:00


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Geselligkeit

Der Begriff Geselligkeit ist in der Gegenwart nicht besonders geläufig. Wir sprechen von Partnerschaft, Freundschaft, Beisammensein, Chillen, Abhängen, Smalltalk oder Gedankenaustausch. Was also ist Geselligkeit? Vorerst mag von einer zwanglosen Interaktion ausgegangen werden. Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, herausgegeben von 1731 – 1751, definiert den Begriff darüber hinaus wie folgt: „Geselligkeit, ist eine Pflicht mit anderen Menschen eine friedliche und dienstfertige Gesellschaft zu unterhalten, damit alle durch alle Glückseligkeit erlangen können.“1

Geselligkeit ist demnach als Pflicht zu verstehen, mit der sozialethischen Pointe, dass die Glückseligkeit aller befördert wird. Um diesen Zusammenhang zu erläutern, und Schleiermachers Beitrag dazu einordnen zu können, sind drei Dimensionen des Hintergrundes zu beachten.

Zunächst ist der Hintergrund verschiedener ideengeschichtlicher Traditionen aufzuzeigen. Würden wir eine umfangreiche Untersuchung des Begriffes Geselligkeit vornehmen, wären wir auf die Anfänge der menschlichen Kultur verwiesen. „In einem weiten Sinn bez. G[eselligkeit] die anthropologische Grundstruktur des Menschen als animal sociale.“2 Der Mensch ist ein soziales Wesen und sucht Gemeinschaft. Und diese Gemeinschaft darf nicht nur auf bestimmte, externe Zwecke ausgerichtet sein. Vielmehr sollten Menschen sich in einer Weise begegnen können, in der sie nur diese freie Interaktion zum Ziel haben. In dieser muss es nicht um den Lebensunterhalt oder Politik gehen, sondern um die Entfaltung des eigenen Selbst im Zusammenhang mit der Entwicklung der Anderen. So wird bereits in der Antike, z. B. bei Aristoteles, der Freundschaft eine tragende Rolle in der Verwirklichung der Bestimmung des Menschseins eingeräumt.

Allerdings ist das zugrundeliegende Bild des Menschen nicht unumstritten. Das Problem kann mit einigen Fragen umrissen werden: Ist der Mensch von sich aus auf freie Gesellschaft ausgelegt? Oder ist die Freiheit das Ergebnis eines besonderen Bildungsprozesses? Zugespitzt gefragt: Ist der Mensch dem Menschen ein Wolf? Muss er zu friedfertigem Austausch gezwungen werden? Wie kommt Friedfertigkeit zustande? Was hemmt sie? Wie kommt es, dass Hass und Gewalt Kommunikationen unterlaufen und zerstören?

Es sind pointierte Fragen, die sich Menschen im Laufe der Kulturgeschichte über ihre Natur und Bestimmung gestellt haben, so dass hier nur im Auszug einige bedacht werden können. Da wären Bezüge zur paulinischen und reformatorischen Tradition zur Sünde des Menschen als eine Zerstörung von Beziehungsfähigkeit zu nennen. Im Hintergrund stehen ebenso Konzeptionen von Thomas Hobbes und anderen, die den Menschen nicht vornehmlich als gesellig ansehen, sondern als latent gewalttätig und radikal auf eigene Ziele ausgerichtet.3

Als zweite Hintergrundperspektive müsste ausführlich der mittelbare Kontext der Entwicklung von Schleiermachers Geselligkeitsreflexion betrachtet werden. Geselligkeit wird im 18. Jahrhundert in besonderer Weise thematisch. Der Germanist Wolfgang Adam stellt die Orientierung an der Geselligkeit im 18. Jahrhundert pointiert dar: „In den Begriffen Freundschaft und Geselligkeit kristallisieren sich philosophische und sozialethische Leitvorstellungen des 18. Jahrhunderts, die so prägend für das Profil dieser Epoche sind, daß man mit einiger Berechtigung sowohl von einem Saeculum der Freundschaft als auch dem geselligen Jahrhundert gesprochen hat.“4

Dabei sind wesentliche Neuerungen und Entwicklungen festzustellen: In der frühneuzeitlichen Gesellschaft findet Geselligkeit zunächst im Rahmen des eigenen Personenverbandes statt. Eine Vorstellung von individuell gestalteter Freizeit ist kaum existent. Vielmehr wird in den kirchlichen, ständischen oder staatlichen Institutionen gefeiert. Mit den gesellschaftlichen Umbrüchen des 18. Jahrhunderts entstehen neue Möglichkeiten des Zusammenseins.



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