Der Nomade: Briefe 1948-1988 (B00OVLPV2G) by Bruce Chatwin
Autor:Bruce Chatwin [Chatwin, Bruce]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783446248755
Herausgeber: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2014-10-27T04:00:00+00:00
Als Chatwin Mrs. Gandhi während ihrer Wahlkampagne begleitete, lernte er Sunil Sethi kennen, »den 23-jährigen Wunderknaben des indischen Journalismus«, der bei der India Today angefangen hatte. Chatwin fand ihn einen »anregenden Gefährten. Er war überall in Indien gewesen und hatte harte Zeiten erlebt. Er konnte Hindi verstehen und es auf Englisch seitlich zu den Mundwinkeln wieder ausspucken.«
AN SUNIL SETHI
HOLWELL FARM | WOTTON-UNDER-EDGE | GLOS. | 18. JUNI 1978
Mein lieber Sunil,
Dein Brief hat mich wirklich sehr aufgemuntert. Ich hatte mit einer gewissen nervösen Spannung darauf gewartet. Wäre er vor einer Woche gekommen, hätte ich mich womöglich ins nächste Flugzeug nach Delhi gesetzt. Ich war am Boden zerstört. Am Boden zerstört aufgrund einer so monumentalen Depression, dass ich mich morgens nicht zum Aufstehen aufraffen konnte aus Angst vor den schrecklichen Dingen, die mich tagsüber erwarten mochten. Ich glaube, dass ich Dir zu verstehen gegeben habe, dass ich es so eilig hatte, zurückzukehren, weil ich mich mit jemandem treffen wollte.354 Normalerweise mache ich es nicht so: Normalerweise schiebe ich meine Abreise nach England (Le tombeau vert) bis zum letzten Augenblick hinaus. Als aber dieser Jemand mich am Flughafen abholte, wusste ich, dass etwas ganz und gar schiefgegangen war (erschreckend, wie sehr sich Menschen in einem Monat verändern können), und drei Wochen lang baute sich dieses Schiefgegangene zu einem Krokodil von lauter Elend auf, während ich an meiner Schreibmaschine saß und mit dieser grässlichen Frau kämpfte, die meine Reise nach Indien ruiniert hatte. Gefühlsmäßig leide ich anscheinend immer unter transkontinentaler Entfernung. Wie auch immer, ich habe mich jedenfalls den ganzen letzten Monat dafür verflucht, dass ich DICH zurückgelassen habe, und damit musst Du Dich abfinden.
Also, ich war um 10 Uhr morgens noch im Bett an einem strahlenden, sonnigen Morgen, als Tom Maschler, mein Verleger, anrief, um mir mitzuteilen, dass In Patagonien den Hawthornden-Preis für phantasievolle Literatur gewonnen hatte (zu den früheren Gewinnern gehören Evelyn Waugh und Dom Moraes!). Also hörte ich auf, Trübsal zu blasen, und riss mich zusammen. Nicht dass ich normalerweise Trübsal blase, aber ich habe festgestellt, dass ich weit weniger hartgesotten bin, als ich geglaubt hatte.
Natürlich soll In Patagonien kein Reisebuch sein, aber nur Du und der Rezensent der TLS waren so schlau, das zu merken, während mich Leute, die behaupteten, es sei ein Reisebuch, so eingeschüchtert haben, dass ich es beinahe selbst geglaubt hätte – oder vielmehr geglaubt hätte, ich hätte mein Ziel verfehlt: nämlich eine allegorische Reise nach klassischem Muster zu schreiben (der Erzähler geht auf die Suche nach einem Tier etc.). Danke für die Bemerkung: »vielfältige Leidenschaften, die sich am Ende in Schlichtheit auflösen«.
Dann gab es Streitigkeiten bei der Sunday Times. Ich hatte das Gefühl, die einzige Möglichkeit, mit der Frau zu Rande zu kommen, bestehe darin, die Sache indirekt und auf elliptischem Wege anzugehen. Wie kann sich ein Europäer überhaupt einbilden, er könnte sich kategorisch über Indien verbreiten? Vergebens versuchte ich zu beschreiben, was ich sah, und ich überließ es den Lesern, Schlüsse zu ziehen. Dann kam mein Text über und über bekritzelt zurück: JA UND? KOMMT SIE
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