Der neue Iran by Charlotte Wiedemann

Der neue Iran by Charlotte Wiedemann

Autor:Charlotte Wiedemann [Wiedemann, Charlotte]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783423431279
Herausgeber: dtv Verlagsgesellschaft
veröffentlicht: 2018-05-06T16:00:00+00:00


Selten war ein Krieg so eindeutig, so offensichtlich und unbezweifelbar ein Angriffskrieg wie die irakische Invasion. Und doch kam Iran niemand zu Hilfe.

Saddam hatte einhundertneunzigtausend Soldaten mobilisiert und machte schnelle Geländegewinne. Die Islamische Republik sammelte hastig die Reste der Armee der Schah-Zeit, trainierte die neuen Revolutionsgarden und schickte fast jeden an die Front, der sich freiwillig meldete. Darunter waren Dreizehnjährige und Achtzigjährige.

Allenfalls indirekt von Syrien unterstützt, stand Iran quasi allein gegen eine große informelle Koalition, an der sich zeitweise sechsunddreißig Länder beteiligten. Alle großen Mächte stellten sich an die Seite Iraks, jede mit ihren eigenen Gründen. Die Sowjetunion lieferte Panzer, Frankreich Kampfjets, auch China war unter den führenden Rüstungslieferanten. Von den Golfstaaten, voran Saudi-Arabien, kam das Geld; die USA assistierten mit Beratern und mit Satellitenbildern der iranischen Stellungen. Und auf amerikanischen Druck hin verkaufte kein Land Iran die dringend benötigten Ersatzteile für seine veralteten Waffen westlicher Machart.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, den Iran wiederholt anrief, weigerte sich acht lange Kriegsjahre hindurch, die irakische Aggression beim Namen zu nennen und zu verurteilen. Das dunkelste Kapitel aber war die westliche Beihilfe zu Saddams chemischer Kriegsführung. Unternehmen aus zahlreichen Ländern, darunter die Bundesrepublik und die Niederlande, lieferten dafür Komponenten. Und wie CIA-Dokumente später belegten, leistete die USA ihre Aufklärungshilfe zur Bestimmung von Angriffszielen in vollem Wissen, dass Angriffe mit Giftgas geplant waren. Erneut rief Teheran den Sicherheitsrat an, ohne Erfolg.

Diese Lektion würden die Iraner nie vergessen: Sie hatten keine Alliierten, wenn sie mit Waffen angegriffen wurden, die seit einem halben Jahrhundert international geächtet waren.

In dieser Situation entschied die Führung der Islamischen Republik, das Nuklearprogramm wiederaufzunehmen; es hatte in der Schah-Zeit mit amerikanischer und französischer Hilfe begonnen und wurde von Khomeini zunächst aus religiösen Gründen eingestellt.

Der Chemiekrieg erreichte furchtbare Ausmaße. Es war der größte seit dem Ersten Weltkrieg, und erstmals in der Geschichte wurde Senfgas gezielt gegen Zivilisten eingesetzt. Später errang nur ein einziger Ort das Mitgefühl der Welt: Halabdscha im Irak. Dort hatte Saddam Hussein seine eigene Bevölkerung angegriffen, Kurden, die beschuldigt wurden, iranischen Soldaten beim Einmarsch geholfen zu haben. Sardascht ist hingegen ein Name, den bis heute kaum jemand im Westen je gehört hat. Eine unschuldige Kleinstadt, über der die irakische Luftwaffe an einem Tag im Juni 1987 eine ganze Serie von Giftgasbomben abwarf.

Dreißig Jahre nach Kriegsende bedürfen in Iran mehr als siebzigtausend Chemiewaffenopfer dauerhaft medizinischer Hilfe. Viele träumen davon, einmal einen tiefen Atemzug nehmen zu können. Manche schlafen aufrecht sitzend; allein die Anstrengung, sich hinzulegen und wieder aufzurichten, wäre zu viel für ihre Lungen. Sie verbringen ihr Leben neben einem Sauerstoffgerät, das jeden Atemzug mit einem pfeifenden Geräusch begleitet.

Eine andere wenig bekannte Kriegsfolge sind die Landminen. Sechzehn Millionen sollen sich noch in iranischer Erde befinden. In den Grenzprovinzen wird nach informellen Angaben im Schnitt jeden Tag ein Mensch getötet oder verstümmelt; häufig Kinder, die ihrem Ball nachjagten.

Historiker haben lange angenommen, der sogenannte Erste Golfkrieg hätte eine Million Menschen das Leben gekostet. Das war zu hoch gegriffen. Iran beziffert seine Toten heute auf etwa einhundertneunzigtausend. Gleichwohl bleibt der Krieg das herausragende und



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