Der Herausgeber by Nelles Irma

Der Herausgeber by Nelles Irma

Autor:Nelles, Irma
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2016-02-09T00:00:00+00:00


1993–2002

Ende März 1993 starb Wolfgang Eisermann, der im zwölften Stock das Büro des Herausgebers leitete, plötzlich an Herzversagen.

Drei Wochen später erhielt ich einen Anruf von Spiegel-Geschäftsführer Karl Dietrich Seikel: Herr Augstein lässt fragen, ob Sie bereit wären, den Job von Herrn Eisermann im zwölften Stock zu übernehmen, sagte er.

Das überrascht mich jetzt aber, antwortete ich. Denn von Rudolf Augstein selbst hörte ich nur selten.

Sogar während der aufregenden Tage und Wochen des Berliner Mauerfalls im Winter 1989 hatte Rudolf an einem frühen Morgen mich nur einmal sehr kurz angerufen und mit ungewöhnlich glücklich klingender Stimme gesagt: Eigentlich war es eben doch mein Freund, dem wir das alles zu verdanken haben. Als früherer Außenminister kannte er die wichtigen, einflussreichen Politiker doch alle seit vielen Jahren. Ha! Einer wie Genschman, wie Rudolf Hans-Dietrich Genscher scherzhaft zu nennen pflegte, ein Sachse aus Halle! Der habe natürlich einen ganz anderen Draht zu der Sache!

Eigentlich hatte ich vor, meine Wochenarbeitszeit zu verringern, antwortete ich dem Geschäftsführer zögernd. Es war ja alles schon besprochen.

Das passt doch sehr gut, sagte der Geschäftsführer mit sonorer Stimme, es ist sowieso eher ein Halbtagsjob. Rudolf Augstein ist doch kaum noch im Hause. Aber Sie können es sich gern noch überlegen.

Wenige Tage später rief ich Karl Dietrich Seikel an, um ihm mitzuteilen, dass ich den mir inzwischen zugegangenen Vertrag als Redakteurin im Büro des Herausgebers unterschreiben wolle.

Kann ich vorher vielleicht noch meinen restlichen Urlaub nehmen?, fragte ich dann. Es sind noch ungefähr drei Wochen.

Der Geschäftsführer versprach, sich gleich wieder zu melden.

Wenige Minuten später begrüßte Rudolf mich am Telefon mit der Frage: Wieso willst du schon wieder in Urlaub? Du hast doch den ganzen Tag Urlaub! Wohin fährst du denn schon wieder?

Nach Griechenland.

Und wann bist du wieder da?

Ende April.

Das ist gut. Dann kannst du ja am Tag der Arbeit bei mir oben anfangen, nicht, witzelte er und wünschte mir fast übermütig schöne Ferien.

Die drei Sekretärinnen im zwölften Stock waren ein wenig älter als ich und arbeiteten seit Jahrzehnten mit Rudolf Augstein zusammen.

Rudolf machte sich offenbar Gedanken darüber, wie ich mit seinen Sekretärinnen zurecht kommen würde.

Ihr vier Frauen so untereinander, geht das denn?, fragte er während eines gemeinsamen Mittagessens im Mühlenkamper Fährhaus.

Wir sind Kolleginnen, keine Konkurrentinnen, beruhigte ich ihn. Wir wollen dich ja nicht heiraten, nur mit dir arbeiten.

Rudolf stellte sein rechtes Auge mittig und sah mich mit kindlicher Verwunderung an: Ist wahr, lächelte er.

In meinem Vertrag steht auch nicht, dass ich Büroleiterin sein soll, merkte ich an.

Euer Büroleiter bin ja auch ich, nickte Rudolf alles andere als überrascht. Ohnehin arbeite er viel lieber mit Frauen als mit Männern zusammen. Er verschränkte die Arme auf der Tischplatte und senkte den Kopf. Du bist nur für mich zuständig, sagte er dann, kniff das rechte Auge zu und fixierte den Teller Spaghetti, den der Kellner gerade vor ihm abstellte.

Sind die auch heiß?, fragte Rudolf misstrauisch.

Selbstverständlich, sagte der Kellner höflich und stob gleich wieder davon, um einen Gast am Nebentisch zu bedienen.

Hoffentlich bin ich nicht auch noch für deine Häuser zuständig und alles, was damit zusammenhängt. Ich



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