Der Gott der kleinen Dinge by Arundhati Roy

Der Gott der kleinen Dinge by Arundhati Roy

Autor:Arundhati Roy [Roy, Arundhati]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104905310
Herausgeber: FISCHER E-Books


Von der Stange neben dem Brunnen rief ein schmutziger Kuckuck huup-huup und flatterte mit den rostroten Flügeln.

Eine Krähe stahl ein Stückchen Seife, die in ihrem Schnabel schäumte.

In der dunklen, rauchigen Küche stand die kleine Kochu Maria auf den Zehenspitzen und glasierte den großen zweistöckigen WILLKOMMEN-ZU-HAUSE-UNSERE-SOPHIE-MOL-Kuchen. Obwohl zu dieser Zeit bereits die meisten syrischen Christinnen Saris trugen, kleidete sich Kochu Maria immer noch in ihre weiße chatta mit den kurzen Ärmeln und dem V-Ausschnitt und ihren weißen mundu, der auf ihrem Hintern zu einem steifen Stofffächer gefaltet war. Kochu Marias Fächer war jedoch mehr oder weniger verborgen unter der blauweiß karierten, rüschenbesetzten, absurd unpassenden Küchenschürze, auf der Mammachi im Haus bestand.

Sie hatte kurze dicke Unterarme, Finger wie Cocktailwürstchen und eine breite fleischige Nase mit geblähten Nasenflügeln. Tiefe Hautfalten verbanden die Nase mit dem Kinn und trennten diesen Teil vom Rest ihres Gesichts ab wie eine Schnauze. Ihr Kopf war zu groß für ihren Körper. Sie sah aus wie ein konservierter Fötus, der in einem biologischen Labor aus seinem Glas mit Formaldehyd entkommen und mit der Zeit glatt und dick geworden war.

In ihrem Mieder, das sie sich fest um die Brust schnürte, um ihre unchristlichen Brüste platt zu drücken, bewahrte sie feuchte Geldscheine auf. Ihre Kunukku-Ohrringe waren schwer und aus Gold. Ihre Ohrläppchen waren zu großen beschwerten Schlingen geworden, die um ihren Hals schwangen; darin saßen die Ohrringe wie ausgelassene Kinder in einem Karussell (das sich fast ganz um die eigene Achse drehte). Ihr rechtes Ohrläppchen war einmal aufgerissen und von Dr. Verghese Verghese wieder zusammengenäht worden. Kochu Maria musste die Kunukku tragen, denn wenn sie es nicht tat, wie sollten dann die Leute wissen, dass sie trotz ihrer niederen Stellung als Köchin (fünfundsiebzig Rupien im Monat) eine syrische Christin und Mitglied der Mar-Thoma-Kirche war? Keine Pelaya oder Pulaya oder Paravan. Sondern eine berührbare Christin der oberen Kasten (in die das Christentum gesickert war wie Tee aus einem Teebeutel). Zerrissene und wieder zusammengeflickte Ohrläppchen waren da bei weitem die bessere Alternative.

Kochu Maria hatte damals noch nicht Bekanntschaft geschlossen mit der Fernsehsüchtigen, die in ihr schlummerte. Der Hulk-Hogan-Süchtigen. Sie hatte noch nicht einmal ein Fernsehgerät gesehen. Sie hätte nicht geglaubt, dass das Fernsehen überhaupt existierte. Hätte es ihr jemand erzählt, hätte Kochu Maria angenommen, dass er oder sie ihre Intelligenz beleidigen wollte. Kochu Maria begegnete den Versionen der Welt, die andere Leute hatten, mit Misstrauen. Meistens hielt sie sie für einen willentlichen Affront gegen ihre mangelnde Bildung und (frühere) Leichtgläubigkeit. In einer entschlossenen Umkehrung der ihr innewohnenden Natur glaubte Kochu Maria jetzt prinzipiell kaum noch, was ihr irgendjemand erzählte. Ein paar Monate zuvor, im Juli, als Rahel ihr mitteilte, dass ein amerikanischer Astronaut namens Edwin Armstrong auf dem Mond spazieren gegangen war, hatte sie sarkastisch gelacht und erwidert, dass ein Malayali-Akrobat namens O. Muthachen Saltos auf der Sonne geschlagen hatte. Wobei ihm Bleistifte in der Nase steckten. Sie war bereit, zuzugestehen, dass Amerikaner existierten, obwohl sie noch nie einen gesehen hatte. Sie war sogar bereit zu glauben, dass Edwin Armstrong ein durchaus vorstellbarer, wenn auch höchst absurder Name war.



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