Der Eisvogel - Roman by Uwe Tellkamp

Der Eisvogel - Roman by Uwe Tellkamp

Autor:Uwe Tellkamp
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
veröffentlicht: 2010-04-16T22:00:00+00:00


[JOST F. {...}] er begann sich zu verändern, und ich war nicht der einzige, der das feststellte. Er hatte Umgang mit Mauritz, den er bei uns eingeführt hatte und der sich von uns entfernt hielt, auf Abstand, und auch Wiggo gegenüber nicht persönlicher wurde. Nicht nur ich beobachtete die beiden. Dorothea sagte: Wiggo ist ein anderer geworden, seitdem er diesen Mauritz kennt. Härter, rücksichtsloser, ich weiß nicht, ob es an Mauritz liegt und ob es gut ist. Was meinst du, Jost? Ich antwortete: Ich habe kein gutes Gefühl bei diesem Kerl. Um ehrlich zu sein, ich mag ihn nicht sehr. Wiggo scheint sich da, glaube ich, auf irgendetwas einzulassen. – Du beobachtest ihn? – Ich versuche, mich etwas um ihn zu kümmern; ich sehe ihm ein wenig zu, ja. Klingt seltsam, ich weiß. Das Problem ist, daß ich nicht genug Zeit dafür habe. Wir waren allein in Dorotheas Küche. Sie sah mich an, sagte: Merkwürdiges Hobby, meinen Bruder zu beobachten. Ich könnte mir was Besseres vorstellen, das ich mit meiner Zeit täte. – Er interessiert mich, und ich mag ihn. – Ach. Und ich? – Weißt du, Dorothea, es ist so: Ein Mann findet leichter eine Frau als einen Freund, jedenfalls ist das mein Eindruck. Wiggo ist mein Freund, ich mache mir Sorgen um ihn, seitdem dieser Mauritz aufgetaucht ist. – Eifersucht? Soll’s ja geben zwischen Jungs. Dorothea lachte spöttisch, auch verletzt, wie mir schien. Ich hatte ein wenig getrunken, hatte nicht die Kontrolle über meine Worte, die ich mir wünschte. Eine Zeile aus einem Lied der Comedian Harmonists ging mir durch den Kopf, Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt ... Es tat mir leid, diesen Satz ausgesprochen zu haben, ich hatte nicht bedacht, wie beleidigend er auf sie wirken mußte. Aber die Entschuldigung wollte mir nicht über die Lippen. Ich wandte mich ab von ihr, weil ich mich schämte. Nein, keine Eifersucht, sagte ich. Besorgnis. Ich habe einfach kein gutes Gefühl bei dem Kerl. Wie gesagt. – Du versuchst dich also um ihn zu kümmern, siehst ihm ein wenig zu. Und was siehst du da? Hast du übrigens schon von seiner neuesten Idee gehört, dieser Philosophen-Praxis, die er aufmachen will? – Nein, erzähl. Ich wunderte mich über das Wort aufmachen, das Dorothea gebraucht hatte, aufmachen: wie eine Sardinenbüchse, eine Tür oder eine Boutique. – Ich weiß nicht, was er da treiben will. Philosophische Praxis. Vielleicht höhere Psychoanalyse oder so. Was hältst du davon? Sie lachte kurz. Wenn du mich fragst, ich glaube, mein Vater hat recht. Er sagt, daß er es für ziemlichen Blödsinn hält, eine typische Altwestberliner Schnapsidee, und daß er sich nicht vorstellen kann, daß Wiggo dort auch nur einen einzigen Klienten bekommt. – Ich schon, erwiderte ich ein wenig trotzig. Ich will ja nicht gleich von der ganzen Welt reden, aber zumindest Berlin ist doch voller Leute, die mit ihrem Leben nicht klarkommen. Sie lachte wieder. Na, wenn’s danach geht, hat Wiggo ja schon einen Stammkunden gefunden, er braucht nur mal in den Spiegel zu sehen.



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