Der Blinde von Sevilla by Robert Wilson

Der Blinde von Sevilla by Robert Wilson

Autor:Robert Wilson [Wilson, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-01-27T05:00:00+00:00


Gloria Gómez sah nur geringfügig älter aus als ihre jüngere Schwester, ohne über deren Selbstbewusstsein zu verfügen. Auf der Fahrt zum Instituto Anatómico Forense saß sie, die Arme vor der Brust verschränkt, an die Tür gedrückt auf dem Beifahrersitz. Ihr spitzes Fuchsgesicht lud nicht zum Smalltalk ein. Sie war in ihrer eigenen Welt gefangen, verschlossen und allein, in der man niemandem trauen konnte.

»Wissen Sie, womit Ihre Schwester sich ihren Lebensunterhalt verdient hat?«, fragte Falcón.

»Ja.«

»Hat sie darüber gesprochen?«, fragte er, und Gloria verstand ihn falsch.

»Wir haben die gleiche Arbeit gemacht … eine Zeit lang«, sagte sie. »Bis ich schwanger geworden bin.«

»Ich meine, in letzter Zeit«, sagte Falcón. »Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen, was in ihrem Leben passierte?«

Schweigen. Falcón blickte zur Seite, bemerkte ihre Unsicherheit und setzte neu an.

»Der Täter, der Eloisa ermordet hat, hat auch einen ihrer Freier ermordet. Es ist möglich, dass er weiter töten wird. Wir wissen, dass Eloisa ihn kannte. Er hat sich als Schriftsteller ausgegeben. Sie sind Freunde geworden, vielleicht sogar mehr als das. Ich glaube, Eloisa hat angefangen, in ihm einen Ausweg aus ihrem Leben zu sehen …«

»Das war er auch«, sagte sie tonlos, was Falcón kurz verstummen ließ.

»Sein Name war …«

»Sergio«, beendete sie seinen Satz.

»Hat sie über Sergio gesprochen?«

»Ich hab ihr gesagt, sie soll Sergio vergessen. Ich hab ihr gesagt, dass er eine Fantasie wäre und dass sie sich vor ihm in Acht nehmen sollte.«

»Warum?«

»Weil er ihr Hoffnung gemacht hat, und dann fängt man an, die Dinge anders zu sehen. Man fängt an, an eine Chance zu glauben. Man übersieht Sachen. Man macht Fehler.«

»Sie hatten Recht.«

»Das passiert, wenn man jemandem vertraut …«, sagte sie und hob ihr Haar an, um die abgestorbene Haut einer schweren Verbrennung in ihrem Nacken zu präsentieren. »Die Narbe läuft den ganzen Rücken hinunter.«

»Und Sie haben den Ausstieg geschafft?«

»Ich hatte die Wahl: der Job oder Armut. Ich habe mich für die Armut und gegen den Schmerz und den Tod entschieden.«

»Aber das hat Eloisa nicht überzeugt?«

»Ihr war nie etwas passiert«, sagte Gloria. »Sicher, irgendwer hat sie mal mit dem Messer bedroht. Einmal hat ihr jemand eine Knarre an den Kopf gehalten. Sie ist geschlagen worden, aber sie hatte keine Narben. Sobald sie anfing, von diesem Sergio zu reden, wusste ich, dass er sie gezielt ausgesucht hatte.«

Sie ließ ihre Arme schlaff herabhängen, als hätte das Leben sie vernichtend geschlagen und könnte zur Summe ihrer Erfahrungen nur noch die Schuld der Überlebenden fügen.

»Was hat sie Ihnen von Sergio erzählt?«, fragte Falcón, bevor sie spurlos versank.

»Sie sagte, er wäre guapo. Sie sind immer guapo. Sie hat gesagt, er wäre wie wir.«

»Wie Sie?«, fragte Falcón.

»Eloisa und ich haben uns immer las forasteras genannt«, erklärte sie. »Die Außenseiterinnen. Unsere Freier haben wir los otros genannt. Die anderen … aber sie sagte, dass er nicht anders wäre.«

»Und wie kam sie darauf?«

»Alles, was sie von ihm erzählt hat, ließ mich denken, dass er einer von los otros war. Er war gebildet, gut angezogen, hatte ein Auto und eine Wohnung.«

»Sie hat nicht gesagt, was für eine Marke und was für eine Wohnung?«

»Er war nicht dumm«, sagte sie.



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