Das Mädchen an der Brücke: Island Krimi (Kommissar Konrad 2) (German Edition) by Indriðason Arnaldur

Das Mädchen an der Brücke: Island Krimi (Kommissar Konrad 2) (German Edition) by Indriðason Arnaldur

Autor:Indriðason, Arnaldur [Indriðason, Arnaldur]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Lübbe
veröffentlicht: 2020-08-28T00:00:00+00:00


Zweiunddreißig

Das Zimmer war geräumig, und die Geschwister schliefen gemeinsam darin, Eyglós Freundin und ihr Bruder Ebbi. Ebbi war der Jüngere und klebte oft an seiner großen Schwester, wollte immer dabei sein. Eygló spielte manchmal nach der Schule bei ihnen, weil sie die beiden mochte, und auch die Mutter nahm Eygló stets freundlich auf, strich den Kindern Brote und gab ihnen Milch und Kekse, von denen immer reichlich da war.

Im Gegensatz zu Eyglós Mutter war die Mutter ihrer Freundin Hausfrau und die Wohnung immer blitzblank. Manchmal nahm Eygló zarten Putzmittelduft wahr, wenn sie die Wohnung betrat. Sie kam gern nach der Schule hierher. Bei ihr war tagsüber niemand zu Hause, und dann langweilte sie sich. Ihr Vater war ständig in der Stadt unterwegs und ließ sich kaum blicken. Die Mutter schuftete in der Fischverarbeitung und kam abends todmüde nach Hause. Eygló half ihr dann bei der Hausarbeit, ehe sie vor lauter Erschöpfung auf dem Sofa einschlief.

Die Wohnung der Freundin befand sich im Erdgeschoss eines neuen Wohnblocks und war geschmackvoll eingerichtet, mit Bildern an den Wänden und einem Bodenbelag, den die Freundin Parkett nannte. Sie tranken frischen Orangensaft und streuten Kakaopulver in ihre Milch, was Eygló beides von zu Hause nicht kannte.

»Was hast du denn da?«, fragte die Mutter, als sie das Band um Eyglós Hals bemerkte.

»Das ist der Hausschlüssel«, sagte Eygló und zeigte ihn.

»Der Hausschlüssel? Ist denn niemand zu Hause, wenn du aus der Schule kommst?«, fragte sie fassungslos.

Manchmal sah Eygló, wie sie mit einer Zigarette in der Hand am Wohnzimmerfenster stand und sehnsüchtig das Leben auf der Straße beobachtete. Später, als Eygló Teil der Frauenbewegung war, musste sie oft an dieses wehmütige Bild von der Frau am Fenster denken.

Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb sie manchmal mit Wehmut im Herzen an ihre Besuche in diesem Haus zurückdachte. Einmal war sie im Winter bei ihrer Freundin gewesen, als die Tage kurz und dunkel waren. Der Vater war nach Hause gekommen, und das Essen stand auf dem Tisch, und die Mutter fragte, ob Eygló nach Hause müsse oder noch mitessen wolle. Das dürfe sie gern. Sie konnte nicht ahnen, dass Eygló in die Küche geflohen war und sich nicht zurück ins Zimmer traute, um ihre Schultasche zu holen. Nur selten hatte sie Angst vor dem, was sie sah, aber manchmal kam das vor.

»Ist alles in Ordnung, Liebes?«, fragte die Mutter.

»Doch«, sagte Eygló. »Ich warte nur.«

»Aha. Auf wen denn?«

»Auf die Frau«, sagte Eygló.

»Auf welche Frau?«

»Auf die Frau im schwarzen Kleid«, antwortete Eygló.

Die Mutter sah abwechselnd Eygló und ihren Mann an. Der Mann zuckte nur mit den Schultern, als ginge ihn das nichts an, während die Mutter versuchte, ihr gut zuzureden.

»Aber hier ist keine Frau außer mir«, sagte sie. »Von welcher Frau redest du?«

»Im Zimmer«, sagte Eygló. »Die Frau im schwarzen Kleid.«

»Hast du auch eine Frau gesehen?«, fragte die Mutter ihre Tochter, die den Kopf schüttelte.

»Hast du jemanden mitgebracht?«, fragte sie ihren Mann.

Auch der schüttelte den Kopf und guckte, als wäre die Frage völlig absurd.

»Komm mit«, sagte die Mutter. »Zeig sie mir.«

Sie nahm Eygló an der Hand.



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