Das Karussell by Klaus Kordon

Das Karussell by Klaus Kordon

Autor:Klaus Kordon [Kordon, Klaus]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Jugendroman
ISBN: 9783407744050
Herausgeber: Beltz & Gelberg
veröffentlicht: 2012-05-09T22:00:00+00:00


Das kleine Glück

Mochte die Umwelt ihrer Liebe auch mit Unverständnis begegnen, Lisa und Bertie wussten, dass sie zusammengehörten. Sie wussten es, wenn er auf seinem Platz zwischen Fenster und Theke stand und Lisa sich in ruhigen Momenten mit ihm unterhielt; sie wussten es, wenn sie in der Nacht erschöpft von ihrer Liebe Arm in Arm nebeneinanderlagen.

Nächte, wie Lisa sie noch nicht erlebt hatte. Bertie liebte sie voll Leidenschaft, erriet ihre Wünsche und erfüllte sie ihr. Er war eine ganz andere Art Mann als Georg. Sie liebte ihren Schorsch und die Erinnerung an ihre gute Zeit deshalb nicht weniger, Bertie aber erweckte etwas in ihr, was seit jenem einzigen Spaziergang mit Max wie eine Ahnung in ihr geschlummert hatte. Sie war selbst voller Leidenschaft; es bereitete ihr Genugtuung, sie auszuleben.

Alles war richtig, alles war gut. Und als besonders klug erwies sich Berties Beschluss, nicht Gastwirt zu werden. Was vie- le befürchtet hatten, trat ein: Die Politik der Nazis führte zum Krieg. Zwar hieß es, die Polen hätten das friedliebende Deutsche Reich überfallen, weshalb zurückgeschossen werden müsse; wer denken konnte, wusste es besser: Erst war Österreich »angeschlossen«, dann das Sudetenland, Böhmen und Mähren und das Memelgebiet »heimgeholt« worden – alles unblutige Eroberungen, die aus Deutschland das von vielen gewünschte Großdeutschland gemacht hatten –, jetzt streckten die Nazis ihre Krallen nach Polen aus, jetzt durfte Blut fließen.

Wäre der Anlass kein so trauriger gewesen, Bertie und Lisa hätten über die Mär vom kriegslüsternen Polen gelacht. Dass das militärisch so hoffnungslos unterlegene Polen es gewagt hätte, jenes Deutschland, das in den letzten Jahren so stark aufgerüstet hatte, anzugreifen, wer sollte das glauben? Doch wohl nur, wer diese dreiste Lüge, aus welchen Gründen auch immer, glauben wollte.

Das Problem: Alle »Ungläubigen« mussten ihre Zweifel für sich behalten. Jedenfalls solange sie nicht ganz genau wussten, wer ihnen zuhörte. Andernfalls mussten sie damit rechnen, in eines der inzwischen wie Pilze aus dem Boden geschossenen Konzentrationslager eingewiesen zu werden, aus denen, wie geflüstert wurde, nur zurückkam, wer einen Sondervertrag mit dem lieben Gott abgeschlossen hatte.

Jene Lager, so hieß es, seien zur Umerziehung uneinsichtiger oder dem deutschen Staat gegenüber feindlich eingestellter Kräfte gedacht. Seltsamerweise sollte jeder wissen, dass es diese Lager gab, gleichzeitig aber wurde streng darauf geachtet, dass nichts Genaueres darüber nach außen drang. Wenn doch mal über eines davon berichtet wurde, sei es in den Tageszeitungen, Illustrierten oder in der Kino-Wochenschau, dann war das ein so eindeutig geschönter Bericht, dass er Lisa nur noch mehr beunruhigte: Die abschreckende Wirkung war erwünscht, jeder Blick hinter die Kulissen war verboten. Das musste einen Grund haben.

Im Vordergrund all ihrer Sorgen aber stand der Krieg. Wie gut, dass Bertie nicht zu ihr ziehen und Gastwirt werden wollte! Es wurden ja täglich mehr junge Männer zur Wehrmacht eingezogen, Maurer jedoch wurden vorläufig noch verschont – im Gegensatz zu Gastwirten, deren Frauen ja den Laden schmeißen konnten. Der Aufbau der Reichshauptstadt sollte nicht ins Stocken geraten, Männer wie Bertie wurden zu Hause gebraucht. Nur: Was hieß schon »vorläufig«? Würde der Appetit der Nazis auf immer



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