Das Heerlager der Heiligen by Jean Raspail

Das Heerlager der Heiligen by Jean Raspail

Autor:Jean Raspail [Raspail, Jean]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-12-28T05:00:00+00:00


29.

Auf den Schiffen der Einwanderungsflotte starben viele, aber im Grunde genommen auch nicht mehr, als in den Dörfern am Ganges durch Kriege, Hungersnöte und Überschwemmungen laufend umkommen. Die Armada der letzten Chance hielt sich auf ganz natürliche Weise In den Grenzen der Sterblichkeitsrate des indischen Subkontinents. Da das Brennmaterial zur Einäscherung der Körper bald ausging, bestreute sie seit der Meerenge von Ceylon, gleich einem Däumling im Märchen, Ihren Weg mit Leichen. Auf der Höhe von Gata waren es nur noch zwanzig Ausländer, denn nach der Durchfahrt durch die Straße von Gibraltar behielt die Flotte ihre eigenen Toten an Bord. Diese häuften sich inzwischen. Während der letzten drei Tage dieser dramatischen Fahrt gab es vor allem auf den großen, am dichtesteten besetzten Schiffen, wie auf der INDIA STAR oder der KALKUTTA STAR, ungeheuer viele Tote. Es war die Folge der schlechten Ernährung und der physischen und psychischen Erschöpfung am Ende der langen Überfahrt …

Man könnte auch annehmen, daß jene Kranken, die nur die Hoffnung um Leben erhalten hat, in dem Augenblick ihren Geist aufgaben, als sie endlich die Küsten Europas und damit die Erfüllung ihrer Hoffnung sahen. Andere starben schlicht an Hunger und Durst. Es waren die schwächsten, vor allem Greise, Gebrechliche und unnormale Kinder, mit Ausnahme der Mißgeburten und Zwerge, denen an Bord ein besonderer Schutz gewährt wurde. Vermutlich war am Ende der Reise ein derartiger Mangel an Reis und Trinkwasser eingetreten, daß auch keine ordentliche Zuteilung mehr stattfand. Vielleicht starben etliche freiwillig. Sicher hat man aber auch manche im allgemeinen Interesse umkommen lassen. Bekanntlich sind dies die kräftigsten Rassen, bei denen, wie schon eh und je, eine natürliche ungezwungene Auslese stattfindet. Im gegebenen Augenblick werden auf dem Boden Frankreichs Menschen gelandet sein, die zwar mager und ausgehungert, aber sonst wohlauf sind; sie werden stark genug sein, um das Ufer zu erreichen. Die Toten der letzten Tage dagegen werden nach dem Stranden der Flotte von den Wogen sanft an die Küste ins Paradies getragen werden. In den Augen ihrer lebenden Gefährten werden sie nichts Wesentliches verloren haben, denn nach ihrer Vorstellung bedeutet der Tod wenig, wenn das Ziel erreicht ist.

An Bord der Flotte blieb nur ein einziger Weißer zurück. Er wurde wahrscheinlich wegen seiner Krankheit, aber auch wegen seiner Vergangenheit ausgespart. Er hatte sein ganzes Leben im Dienst der Nächstenliebe bei einer Bevölkerung zugebracht, die gelernt hatte, ihm zu vertrauen, ja sogar zu lieben. Auf der Brücke der KALKUTTA STAR, wo er die schönste Zeit im Schatten eines Kamins verbrachte, kannte ihn jeder. Seine Verrücktheit und Selbsterniedrigung hatten, da sie progressiv waren, sein Ansehen in den Augen derer, die sich mit ihm eingeschifft hatten, nicht erschüttern können. Aber wer hätte auch in diesem halb nackten, in schmutzige Lumpen gehüllten, irren Sadhu den Mann erkennen können, der noch vor zwei Monaten Monsignore, katholischer Bischof und apostolischer Legat vom Ganges war. Es fiel ihm selbst schwer, sich noch daran zu erinnern. Gelegentlich wandte er sich auf seiner elenden Schlafstelle um und segnete die um ihn Herumstehenden. Die Menge lachte. Einige seiner alten Anhänger lachten auch, schlugen aber ihm zu Gefallen das Kreuz.



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