Das Floss der Medusa by Franzobel
Autor:Franzobel
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783552058439
Herausgeber: Paul Zsolnay Verlag Wien 2017
veröffentlicht: 2016-12-27T05:00:00+00:00
Obwohl diese Gespräche nur gehaucht worden waren, hatte doch einer davon etwas mitbekommen, einer, für dessen Ohren diese Unterhaltung nicht bestimmt gewesen war: Jean Griffon du Bellay, der Sekretär des Gouverneurs. Ein unterwürfiger, unauffälliger Mensch mit rotblondem Haar und einem so durchschnittlichen Gesicht, dass man sich kaum daran erinnern konnte. Alles, was haften blieb, waren seine Sommersprossen, sein eidechsisches Lächeln sowie die Assoziationen mit dem namensgleichen Renaissancedichter (Joachim du Bellay) und dem irischen Cremelikör (Baileys). Obwohl Griffon witzig, belesen und mit brillanter, fast furchterregender Intelligenz gesegnet war, vergaß man ihn – auch wir haben ihn bisher übersehen. Und die, die ihn nicht vergaßen, gingen ihm aus dem Weg.
Dieser Griffon hatte eine Art, einen zu verunsichern. Sein Gesicht zeigte keine Mimik, und die Augen waren starr, außerdem wirkte er hochnäsig, ja, eingebildet. Als Anhängsel des Gouverneurs gehörte er nirgendwo dazu. Zudem war vielen noch seine Rolle beim Beladen des Schiffes mit der Guillotine (Luise) gegenwärtig. Wie hatte er sich da doch aufgeführt.
Ein Schafott war an Bord? Ja, wir erinnern uns, Gouverneur Schmaltz hatte darauf bestanden, diese sinnreiche Holzkonstruktion mit in den Senegal zu nehmen, weil, so der Gouverneur, die Luise jede Polizei ersetzte. »Die flößt mehr Respekt ein als ein Orden auf der Brust. Nicht einmal der Elefantenorden aus Dänemark oder das Blaue Band des Ordens vom Heiligen Geist hat diese Wirkung.« Alle ahnten, eine seiner ersten Amtshandlungen in Saint-Louis würde sein, sie am Marktplatz aufzustellen, um den Erstbesten damit zu enthaupten. Ein Podium würde er ihr bauen lassen, eine Holztribüne für Damen und Honoratioren, um sich selbst zu feiern … Limonadenverkäufer würden kommen, fahrende Händler, und er, Schmaltz selbst, würde eine Rede auf Justitia halten … Aber auf einem Schiff? Auch wenn diese Luise irgendwo im Unterdeck verstaut war, irgendwo zwischen Rosshaaren, Vogeldünger und gesalzenen Häuten, irgendwo zwischen Knochenkohle, Kanariensamen und Schweineborsten, wussten alle, sie war da. So eine Todesmaschine an Bord bringt Unglück. Wer erfindet so ein Unding? Welch perverse Phantasie gebiert so einen Auswurf, um ihn mit dem Schlagwort der Égalité zu rechtfertigen? … Égalité, wie beim Tennis, nur dass dieser Einstand ein einziges Ergebnis kennt, nämlich einen armen Teufel, der es bald ausgestanden hat.
Und Griffon du Bellay, der niemals lächelnde Knabe mit den Sommersprossen und dem altklugen Gesicht, wurde damit assoziiert. Also ging man ihm aus dem Weg.
Das Schiff war seit zwei Wochen unterwegs, und der Sekretär hatte keine einzige Freundschaft geschlossen. Keine einzige! Während andere, die einander an Land nicht beachtet hätten, sich auf dem Schiff ewige Verbundenheit schworen, weil das Leben an Bord die Menschen veränderte, zusammenschweißte, hatte Griffon keinerlei Kontakte knüpfen können. Wenn er bei den Mahlzeiten etwas Kluges von sich gab, wurde er mit Missachtung gestraft. Wollte er etwas erzählen, fiel man ihm ins Wort. Und setzte er zu einem Witz an … Na, wir können es uns denken. Nur ab und zu unterhielt er sich mit Kummer über spekulative Geografie, auch Alexandre Corréard, der Geologe, gab sich manchmal für ein Gespräch über Atheismus her, wobei sein unentwegtes emotionsloses Ich-dreh-durch ganz schön nervte.
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