Das Fell der Tante Meri by Theodora Bauer

Autor:Theodora Bauer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

9.

Am nächsten Tag war Karl krank. Er blieb im Bett und ließ den Lärm der Großstadt dumpf an sich vorüberziehen. Eine dunkle Vermutung war ihm mittlerweile zur Gewissheit geworden. In den Abendstunden schleppte er sich zur Bibliothek und entlieh einige Bücher, kurz bevor die Bibliothek für das Wochenende schloss. Karl fiel ins Bett, sobald er das Zimmer betreten hatte, und blieb zwei Tage im Fieber darin liegen. Am dritten Tag war er so weit wiederhergestellt, dass er es schaffte, die Bücher zur Hand zu nehmen. Sein Spanisch war gut genug, um den Text zu entziffern. Karl hielt gebundene Exemplare der wichtigsten chilenischen Zeitungen in Händen; er hatte sich die Jahrgänge 1943 und 1944 herausgesucht. Karl blätterte sie auf. Ihm wurde augenblicklich wieder schwummrig im Kopf. Er hatte es sich fast gedacht. Woher das Auswärtige Amt die Informationen bezogen hatte, die ihm so sicher erschienen waren, war ihm schleierhaft. Hier war eine beispiellose Kampagne gegen seine Partei geführt worden, deren Landesgruppe in diesen Schmuddelblättern für sämtliche Übel der Welt verantwortlich gemacht wurde. Sie habe die deutschsprachige Minderheit in Chile unterwandert und sei dabei, eine »Fünfte Kolonne« zu bilden – aber, dachte Karl, und rief sich die Worte einer seiner unfreiwilligen Gastgeberinnen aus den Hausfrauenklubs ins Gedächtnis, die Regierung hatte nichts dagegen unternommen. Zwar schien es, als wäre chilenischen Staatsbürgern der Eintritt in die NSDAP verwehrt gewesen, aber Deutsche hatten sich im Wesentlichen so organisieren können, wie sie wollten, solange sie politisch keine Gefahr für das Land dargestellt hätten. Mit Interesse las Karl Berichte über den Süden des Landes, wo vor allem aus dem Hafenstädtchen Valdivia und dem am großen See gelegenen Puerto Varas verdammungswürdige nationalsozialistische Umtriebe berichtet wurden. Die Landesgruppe sei dort so weit gegangen, Chilenen das Unterrichten an den deutschen Schulen zu verbieten und Chilenisch als Unterrichtssprache zu hintertreiben. Obwohl die Zeitungen, insbesondere derartig buntscheckige Medien wie diese, zu Übertreibungen neigten, war Karl etwas leichter ums Herz. Vage wurde ihm bewusst, dass sich in seinem Kopf so etwas wie ein Plan formte. Eine Woche würde er es noch probieren. Wenn es dann nicht klappen sollte, war ihm wenigstens seine nächste Station bekannt.

Am nächsten Tag klapperte Karl einige Fußballvereine ab. Ohne Erfolg – nur bei zwei der Klubs war überhaupt jemand anwesend, und beide zeigten kein besonderes Interesse an einer Bekanntschaft mit ihm. Einzig bei einem deutschen Brauchtumsverein war ihm so etwas wie Verständnis entgegengeschlagen. Es war mehr Mitleid gewesen denn Sympathie. Hier ging Karl von selbst, denn so etwas hatte er nicht nötig.

Als er an diesem Abend ins Hotel zurückkehrte, erwartete ihn eine Überraschung. Man hatte einen Brief für ihn hinterlegt. Schon als ihm der Portier den Umschlag entgegenstreckte, dachte Karl, dass seine Frau normalerweise ein anderes Format benutzte. Er nahm den Brief entgegen, fuhr über den Umschlag und die dicken, cremeweißen Kanten. Karl konnte das Siegel eines internationalen Betriebs ausmachen, dessen Name sogar ihm als Europäer ein Begriff war. Betrachtete man das Siegel genau, sah man, dass es ein stilisiertes Familienwappen war, in dessen Mitte ein Bergarbeiterhelm, eine Harke und ein Grubenhunt abgebildet waren.

Download

Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.