Das Europa der Könige by Leonhard Horowski

Das Europa der Könige by Leonhard Horowski

Autor:Leonhard Horowski [Horowski, Leonhard]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644043411
Herausgeber: Rowohlt E-Book


Kapitel 15

Georg II. mag seine dicke Venus viel lieber als all die anderen

Kensington Palace, 6. November 1735

Der König war zurück, hurra. Nebel über dem Ärmelkanal hatte ihn gezwungen, zweimal auf See zu übernachten, aber nun hatte England seinen Monarchen wirklich wieder. Um fünf Uhr am Sonntagmorgen war die Royal Caroline in Harwich eingelaufen, und gleich war Georg II. in eine Kutsche gestiegen, die ihn in seine Residenz zurückbringen sollte. Um zwei Uhr mittags fuhr der offene Wagen durch die City of London, während Kanonensalven aus dem Tower und St James’s Park die passende Geräuschkulisse lieferten. Überall säumte jubelndes Volk die Straßen. Es lachte, es schrie, es warf Hüte in die Höhe, während jene ziellose Fröhlichkeit in der Luft lag, die der impulsiven Unterklasse einer Stadt ohne Polizeibehörde ihren Namen ‹mob› (von mobile people) eingebracht hatte. Zum Glück war selbst Georg II. nach einundfünfzig Jahren als Mitglied eines Herrscherhauses professionell genug, um ungeachtet seiner Stimmung mitzuspielen. Immer wieder nahm auch er huldvoll grüßend den Hut ab, während die vergoldete Kalesche sich über Cheapside und Fleet Street Richtung Piccadilly schleppte, und erst als hinter Half Moon Street die Stadt aufhörte und man in den Hyde Park einbog, um auf die sogar nachts beleuchtete königliche Spezialstraße nach Kensington zu kommen, blieb der königliche Hut wieder resolut auf dem Kopf sitzen. Aber das Straßenvolk von London war zufrieden. Es hatte sich nicht nur am Spektakel der königlichen Durchfahrt laben dürfen, sondern konnte sich auch auf den in dieser Jahreszeit rasch näher rückenden Abend freuen, an dem zur Feier solch glücklicher Wiederkehr die ganze Stadt illuminiert werden sollte. Schon trugen in allen Stadtpalästen der Aristokratie Diener Kerzen an die Fenster, damit man sie gleich nach Einbruch der Dunkelheit würde anzünden können. Eile war geboten, denn schon machte auch jener Teil des Mobs sich auf den Weg, den die Regierung bei solchen Anlässen per Trinkgeld dazu motivierte, nach unbeleuchteten Häusern zu suchen. Es lag in der Natur dieser Abmachung, dass niemand den Trinkgeldempfängern ausdrücklich vorschrieb, solch schlechten Patrioten sämtliche Fenster mit Steinen einzuwerfen. Aber in einer Welt, in der das ideale Wochenende einer Mehrheit aus dem Anschauen von Tierkämpfen, billigem Gin und einer guten Schlägerei bestand, musste man das auch kaum dazusagen, und so hätte es vermutlich der zusätzlichen Aufhetzung durch Glasermeister und Kerzenhändler gar nicht mehr bedurft, über die ein säuerlicher Oppositions-Lord sich später beschwerte. Leuten wie ihm blieb heute nur der Trost, dass der im Grunde seines Herzens wunderbar unparteiische Pöbel spätestens beim nächsten Anlauf zu einer Alkoholsteuer wieder die Fenster der Regierungs-Lords einwerfen würde; in der Zwischenzeit empfahl es sich, den Abend drinnen zu verbringen und zum Klang der Hausmusik ein wenig in den Werken der Stoiker zu blättern.

Der König war zurück, na toll. Die Hofbeamten, die im Uhrenhof des Kensington Palace auf die Einfahrt der Königskutsche warteten, sahen ihrem etwas unterdurchschnittlich gottgewollten Herrscher mit dem tiefgekühlten Enthusiasmus desillusionierter Ehepartner entgegen, die einander nur noch durch die gemeinsame Hypothek verbunden sind und doch die Hoffnung nicht aufgeben. Denn das war ja gerade ihr Dilemma, dass es ohne ihn dann irgendwie auch wieder nicht gut gewesen wäre.



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