Charlottes Traum by Gabi Kreslehner

Charlottes Traum by Gabi Kreslehner

Autor:Gabi Kreslehner [Kreslehner, Gabi]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-407-74289-6
Herausgeber: Beltz & Gelberg
veröffentlicht: 2015-12-29T16:00:00+00:00


Ich saß im Bus, wollte in die Innenstadt fahren zum Bummeln, da standen sie plötzlich vor mir. Carlo und der Sulzer.

»Hey«, sagten sie und grinsten. »So ein Zufall. Kommst du mit?«

Ich zuckte die Schultern. »Wohin denn?«

»Ins neue Einkaufszentrum«, sagte Carlo. »Im Westerbergviertel. Das haben sie am Wochenende eröffnet.«

Wie fuhren hin. Zwei riesige Türme flankierten den Eingang, ein Geschäft reihte sich an das nächste, eine irre Ansammlung von Boutiquen, Fachgeschäften, Supermärkten, Fastfoodbuden, Billigläden. Wir zackten die Stockwerke durch, mit dem Lift, zu Fuß. Beim Treppensausen klackten unsere Schuhe am Beton der Stufen.

Nachdem wir Hamburger verdrückt hatten und Chips und Milchshakes und ich zu ahnen begann, dass es schon ziemlich spät war und ich nach Hause sollte, hatte der Sulzer seine böse Idee. Wir standen mitten in einem Supermarkt vor den Regalen mit Duschgels und Haarshampoos und Reformschokolade.

Carlo schien zu ahnen, was kommen würde. Warnend schüttelte er den Kopf, aber in den Augen vom Sulzer blitzte es, und da wusste ich, er musste tun, was kommen würde.

»Einmal noch«, flüsterte er und schaute mich an und seine Augen hatten dieses Blau der allerreinsten Unschuld. »Ein einziges Mal noch. Geht klar?«

Ich sagte keinen Ton.

Da ratschte der Sulzer mit dem Finger das Regal entlang. Nur ein bisschen am Anfang. Dann mit der Hand. Dann mit dem ganzen Arm. Und hinein in die Tiefe des Regals. Und noch einmal beim nächsten. Und wieder beim übernächsten.

Alles begann sich zu bewegen, wie Dominosteine in einer Kette, alles rührte sich und wackelte und dann begann das Stürzen. Das Fallen. Tuben und Tiegel übereinander und dann in die Tiefe. Seifen und Schokoladen, Puderdosen, Zahnpasten, alles kugelte, rollte und fiel, krachte auf den Fliesenboden und zersprang, machte Lärm, Dreck und Chaos.

Ich war wie paralysiert und schaute dem Sulzer ins Gesicht. Er schien ein bisschen fassungslos über das Ausmaß seiner Tat, auch ein bisschen zerstört, aber mehr als das merkte ich, dass er sich gut fühlte. Dass er wie berauscht war vom Gefühl des Fallens, des Springens, dass er den Lärm genoss und den Zorn, der sich entlud und auslief hin zu einer Nulllinie, und dann … war es gut.

Ich spürte, dass er dieses Lachen in sich hatte, das langsam auch in mir hochstieg, und all das verwirrte mich, dieses Lachen, dieses Zittern und eine prickelige Angst. Ich stand wie erstarrt, war nicht mehr in der Lage zu denken, sah nur das Glitzern in den Augen vom Sulzer.

Ich weiß nicht, wie lange das alles dauerte, Sekunden, Minuten, ich weiß es nicht. Aber schließlich holte Carlo mich zurück, packte mich am Arm und schrie in mein Ohr hinein, dass wir abhauen müssten, und zwar schnell und zwar irgendwohin, egal wohin, nur hinaus aus diesem Kapitalistentempel, hinaus, sofort, auf der Stelle, damit sie uns nicht zu fassen kriegten, damit uns die Bullen nicht erwischten, die Bullen, zu denen, das wusste ich nun mit tausendprozentiger Gewissheit, der Sulzer niemals, aber niemals gehören würde.

Dann jagten wir zum Ausgang. Als wäre der Teufel hinter uns her. Als warte die Hölle auf uns. Ich hatte das Lachen vom Sulzer im Ohr und Carlos Hand in meiner.



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