Berichte aus dem Christstollen by Weiler Jan

Berichte aus dem Christstollen by Weiler Jan

Autor:Weiler, Jan [Weiler, Jan]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen, Deutschland
ISBN: 9783644312715
Herausgeber: Rowohlt
veröffentlicht: 2014-01-07T00:00:00+00:00


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Tonis Budenzauber

Antonio Marcipane hat alles, was man in seinem Alter braucht: ein warmes Heim, eine Kaffeemaschine, eine Frau, um sie zu bedienen (also die Kaffeemaschine), sowie einen Schwiegersohn, den man in der Nacht vor der Wahl in Italien anrufen kann, um ihn darüber zu informieren, dass der weitgehend unbescholtene, wenn auch fraglos langweilige Mario Monti ein «Musone» sei, also eine beleidigte Leberwurst. Und dass nun vielleicht die «Mumie» zurückkehre. So nennen sie in Italien den früheren Ministerpräsidenten Berlusconi wegen seiner inzwischen maskenhaften Gesichtszüge.

Jedenfalls machten wir uns Gedanken darüber, was man meinem Schwiegervater noch zu Weihnachten schenken könnte. Vielleicht irgendwas für das Häuschen, das Antonio vor einiger Zeit gebaut hat. In seinem Garten. Dort legte er zunächst eine Art Schreberscholle an und züchtete allerhand Gemüse, und zwar nicht zu seinem Vergnügen, sondern um den bevorstehenden Versorgungsengpässen nach dem Zusammenbruch Europas von vornherein ein Schnippchen zu schlagen. Zuletzt zimmerte er eben eine windschiefe Hütte in den Garten, zu nahe an die Grundstücksgrenze übrigens. Als es kälter wurde, baute er einen Ofen ein und sägte ein Loch in die Wand, durch das er ein monströses Rohr schob. Wenn sein Ofen in Betrieb war und der Schornstein qualmte, sah es so aus, als würde die Bude jeden Augenblick davonfliegen.

Die Knusperhäuschen-Gemütlichkeit von Tonis Laube eröffnete uns ein völlig neues Spektrum von Geschenkescheußlichkeiten, für die Toni sehr empfänglich ist. Also telefonierten wir, und ich fragte ihn, ob er noch etwas für seine neue Hütte benötige. Antonio antwortete ohne jede Bedenkzeit: «So eine Kaminedinge.»

«Eine Kaminedinge? Antonio, was ist eine Kaminedinge?»

«So eine Dingeda furde Kamin, mit Besen und Schaufele und alle Drumundran.»

«Du meinst ein Kaminbesteck.»

«Sagido.»

Ich begann eine Recherche im Internet, dem Spiegel menschlicher Bedürfnisse und ihrer Befriedigung. Wenn man sich eine Stunde lang mit Kaminbesteck beschäftigt, beginnt man an der Evolution zu zweifeln. Vielleicht haben die Kreationisten doch recht: Das alles kann unmöglich von Menschen gemacht sein. Gott hat es entworfen. Und er ist ein blinder Hufschmied auf LSD. Doch selbst bei solch demütiger Einsicht will man die Hände zum Himmel strecken und fragen: Herr, warum muss Dein Kaminbesteck so hässlich sein?

Ich fuhr in die Stadt und suchte dort weiter. Ich hoffte darauf, eine Art «WoK» zu entdecken, also ein riesiges «World of Kaminbesteck», in dem auf vier Etagen für jeden Geschmack etwas dabei sein würde; in allen Preisklassen und für Italiener geeignet, die in ihrem Ofen nicht nur Holz, sondern auch alle möglichen Baumaterialien und recycelbaren Restmüll verheizen. Schließlich muss man den Geschmack des zu Beschenkenden grundsätzlich bei der Auswahl eines Präsentes berücksichtigen. Ich fand aber nichts, das ich gleichzeitig für abscheulich und hochwertig genug befand, um es Antonio zu schenken.

Schließlich bestellte ich das Modell «Harmony 3». Es kostete 67,20 Euro und wurde noch vor Weihnachten geliefert. Schön blöd. Zwei Minuten nachdem ich die Bestellung aufgegeben hatte, klingelte nämlich das Telefon. Meine Schwiegermutter Ursula war dran. Sie teilte mit, dass es Antonio gutgehe, er sei unverletzt, aber natürlich schockiert.

«Warum? Was ist denn passiert?», fragte ich besorgt.



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