Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi by Gregor Gysi & Hans-Dieter Schütt

Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi by Gregor Gysi & Hans-Dieter Schütt

Autor:Gregor Gysi & Hans-Dieter Schütt [Gysi, Gregor & Schütt, Hans-Dieter]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fach-/Sachbuch
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2023-08-15T11:38:55+00:00


VISIONEN

»Träumen darf man alles«

Herr Gysi, warum ist unsere Zeit politisch so ohne Visionen, so elend frei von kühnen Träumen?

Für Visionen, für kühne Träume, braucht man Zeit, Entspannung und Ruhe. Und ein bestimmtes gesellschaftliches Klima. All das gibt es kaum noch.

Aber gerade die bittersten Verhältnisse haben in der Geschichte die mutigsten Träume hervorgebracht.

Das stimmt ebenfalls. Hochfliegendes wird gerade dann gedacht, wenn die Dinge darniederliegen – weil sie darniederliegen. Aber der politische Traum ist eben auch sehr in Misskredit geraten, er hat seine Unschuld verloren. Weil politische Träume leider auch zu furchtbaren Realitäten geführt haben. Viele weltpolitische Situationen sind inzwischen so kompliziert geworden, dass es schwer ist, unter dem entstandenen Druck eine Vision oder einen weitreichenden Traum zu entwickeln. Es ist aber nötig.

Sollte ein Politiker in führender Position also eine Vision haben?

Selbstverständlich. Wir brauchen sie dringend, um klare politische Ziele zu verfolgen, die etwas mit Hoffnung und Ermutigung zu tun haben. Nur ein Mensch, der solche Ziele hat, bleibt in seiner Politik berechenbar.

Helmut Schmidt sagte, wer Visionen habe, solle eher zum Psychiater als in die Politik gehen. Dem stimmen Sie nicht zu?

Nein, dem stimme ich überhaupt nicht zu. Obwohl ich auch weiß, was Bismarck sagte: Politik ist die Kunst des Möglichen. Auch das ist Aufruf zu Vorsicht und Zurückhaltung. Es ist eine klare Warnung vor Illusionen. Diese Warnung scheint mir aber manchmal als Begründung dafür benutzt zu werden, dass Parteien nur noch in Legislaturperioden denken. Das heißt, sie dämpfen Erwartungen: Mehr, als in vier Jahren geleistet werden kann, ist eben nicht drin!

Ist das nicht wirklich so?

Ja, aber es ist leider auch eine Einladung zur Genügsamkeit, zum Weiterwerkeln am Klein-Klein. Und es ist gefährlich. Weil globale Probleme – Kriege, Klima, Hunger, Flucht, Bildungsnot, Arbeit, Gesundheit, Umweltkatastrophen, Ressourcen – zwingend nach Lösungen rufen, egal, ob diese Rufe nun wahrgenommen oder ignoriert werden. Da ist Kühnheit gefragt. Die Weltfragen stellen sich mehr und mehr mit gnadenloser Härte, und sie fordern Konsequenzen. Darum halte ich es lieber mit Che Guevara: »Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.«

Von welcher Vision haben Sie Abschied genommen?

Da ich schon 75 Jahre alt bin, glaube ich nicht mehr daran, eine Welt ohne Kriege kennenzulernen. Vielleicht kommt diese Zeit irgendwann einmal, aber ich werde sie nicht mehr erleben. Aber Visionen sind etwas, das mit der eigenen Lebenszeit nicht unbedingt abgegolten ist. Insofern widerspreche ich mir selber, in dieser Hoffnung. Und: Ich streite und kämpfe auch dafür, dass alle Kinder und Jugendlichen einen chancengleichen Zugang zu Bildung und Ausbildung, zu Kunst und Kultur und zu Sport haben. Davon sind wir real leider meilenweit entfernt.

Apropos Hoffnung: Welche Hoffnung haben Sie nicht aufgegeben?

Deutlich mehr Vernunft und sachgerechtere Entscheidungen zu erleben.

Wie vernunftlos darf man träumen?

Träumen darf man alles, was einem in den Sinn kommt. Es gibt für Träume keine Maßstäbe und keine Verbote. Und Träume nehmen im Übrigen keinerlei Rücksicht auf unsere Vernunft, die oft genug zu Mäßigung rät. Träume lassen sich nicht einzäunen, sie können einen erheitern, lustig machen oder traurig stimmen. Auch täuschen. Vernunft ist beim wirklichen Träumen nicht gefragt.

Gefährlich?

Bei Künstlern oder Künstlerinnen nicht. In der Politik schon.



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