Astrids Plan vom großen Glueck by Henriksen Levi

Astrids Plan vom großen Glueck by Henriksen Levi

Autor:Henriksen, Levi [dtv]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-11T00:00:00+00:00


20

Der Wald ist fast undurchdringlich. Wieder fällt mir auf, wie viel lebendiger die Vögel auf der Insel sind als zu Hause.

»Verdammt, hier gibt es bestimmt Kreuzottern«, sagt Mama, als wir dem Pfad zu der Stelle folgen, wo ich das Boot vertäut habe.

»Großmutter sagt, man soll nicht fluchen. Übrigens kommt man vermutlich eher durch einen Champagnerkorken ums Leben als durch eine Kreuzotter«, sage ich und gehe schneller, um ihr Tempo mitzuhalten.

»Aber wohl kaum auf dieser gottverlassenen Insel«, sagt sie.

Bevor ich antworten kann, stößt sie einen sirenenartigen Schrei aus und führt einen kleinen Kriegstanz auf. Fast glaube ich, dass sie auf eine Schlange getreten ist. Dann sehe ich, was sie so erschreckt hat.

»Eine Ratte«, zischt sie durch die Zähne und hebt die rechte Hand, als hätte sie eine Pistole.

»Entspann dich, Mama. Das ist nur ein Iltis. Der ist nicht gefährlich. Fünfhundert Jahre vor den Katzen waren Iltisse Haustiere«, sage ich.

Mama antwortet nicht gleich. Sie presst ihren Handrücken gegen die Stirn und bleibt schwankend stehen, wie es feine Damen im Film tun, bevor sie in Ohnmacht fallen.

»Da ist mir die Katze doch lieber, die könnte vielleicht auch diese Vögel verjagen. Die machen ja mehr Krach als die Möwen zu Hause in Finnmark in der Mitternachtssonne«, sagt sie und geht weiter.

»Hier war das andere Boot festgebunden«, sage ich, als wir die Stelle erreicht haben. Die Kielspuren sind immer noch deutlich im Sand zu sehen. Mama hockt sich hin und fährt mit den Fingern darüber, als könnte sie auf die Art ablesen, wo das Boot geblieben ist.

»So ein verdammtes Pech«, sagt sie und schüttelt den Kopf.

»Nicht fluchen«, sage ich.

»Entschuldige, ich hab bloß das Gefühl, dass heute so ziemlich alles schiefgeht.«

»Aber mit Papa wird alles wieder gut, nicht?«

»Papa?«, sagt sie mit einer seltsamen Stimme, als könnte sie sich nicht erinnern, wer das ist.

»Ja, Papa. Du hast ihn doch hoffentlich nicht vergessen.«

»Nein, natürlich nicht. Aber es ist das erste Mal seit Langem, dass du ihn Papa genannt hast«, sagt sie und richtet sich auf.

»Emilie, wir haben keine Zeit, uns mit so was zu beschäftigen. Wollen wir nicht versuchen, die Boote zu finden?«, frage ich, doch Mama antwortet nicht. Jedenfalls nicht mit Worten, aber sie kommt auf mich zu und nimmt mich in die Arme, wie sie es früher getan hat, wenn ich schlimm geträumt hatte. Sie streicht mir über den Kopf und es ist ein schönes Gefühl, so dazustehen. Wäre ich eine Katze, ich würde bestimmt anfangen zu schnurren, mich zusammenrollen und streicheln lassen.

Als ich klein war, war es das Schönste für mich, am Samstag- und Sonntagmorgen zu Mama und Papa ins Bett zu kriechen, und dann mussten sie abwechselnd meinen Rücken kraulen. Ich will gerade wieder die Augen schließen, da krächzt heiser ein Rabe direkt über unseren Köpfen. Ich trete einen Schritt zurück. Ich bin keine Katze. Ich bin ein Mädchen von knapp elf Jahren.

»Komm schon«, sage ich und einen Augenblick sieht es fast aus, als würde Mama das Gleichgewicht verlieren. Dann richtet sie sich auf und schüttelt leicht den Kopf, erst nach rechts, dann nach links.



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