Antonias Wille by Durst-Benning Petra

Antonias Wille by Durst-Benning Petra

Autor:Durst-Benning, Petra [Petra Durst-Benning]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Bd. 25989
ISBN: 9783548259895
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Claudine Berlots Leben hing in jener Nacht wirklich am seidenen Faden.

Der Nachthimmel war verhangen, und ich kam nur langsam voran. Es war fünf Uhr morgens, als ich durchgefroren und völlig erschöpft vom Rombacher Kräutermann zurückkehrte. Gottlieb König hatte mir meine Geschichte von Karls Erkrankung abgenommen und gab mir alles, was ich brauchte. Die beiden Männer hatten Claudine in meiner Abwesenheit tatsächlich in eines der Zimmer im oberen Stock gebracht. Die Kleine legten sie in das Bettchen, das Karl mir für mein Kind gegeben hatte. Als ich kam, schliefen Mutter und Kind, und so wartete ich, bis Claudine wieder erwachte. Als Erstes verabreichte ich ihr das Kohlepulver. Und wie König vorhergesagt hatte, hörte der Durchfall schlagartig auf. Von da an flößte ich ihr außerdem regelmäßig Tee aus Wiesenknöterich und Eibisch ein. Man konnte zusehen, wie ihr Körper von Stunde zu Stunde wieder straffer wurde. Hätte sie die Flüssigkeit nicht bei sich behalten, wäre sie wohl gestorben …

Rosanna war gerade ins Zimmer der Kranken getreten, als jene die Augen öffnete. Ihr Gesicht hatte noch immer die bleiche Farbe von poliertem Elfenbein, doch ihre Augen glühten schwarz wie Kohle.

»Wo bin ich? Alexandre? Mein Kind … Wo …?«

Vor lauter Schreck, den bisher leblosen Körper sprechen zu hören, und das auch noch in deutscher Sprache, verschüttete Rosanna etwas von dem Tee. Die Spritzer landeten auf dem Flickenteppich vor dem Bett.

»Sie sind in Sicherheit. Und Ihr Kind und Ihr Mann sind es auch.« Sie machte unsicher eine Pause. »Ich bin Rosanna und … ich wohne hier«, setzte sie noch hinzu und blieb mitten im Raum stehen. Nun, da Claudine wach war, verspürte Rosanna ihr gegenüber eine plötzliche Scheu.

»Rosanna …« Claudine wiederholte den Namen langsam. Dann wanderten ihre Augen durch den Raum, wobei ihr Blick für einen kurzen Moment auf jedem Gegenstand ruhte.

Was gab es da zu gucken? Störte sich die Frau an dem bisschen Staub? Oder war ihr die Umgebung zu schäbig? Unruhig trat Rosanna von einem Fuß auf den anderen.

»Du hast ein gutes Auge. Diese Kommode da … Wie du die Blumen vor dem Spiegel arrangiert hast – sehr geschmackvoll! Und die Kissenparade auf der Fensterbank – das nenne ich ländlichen Chic!«

Rosanna hätte ihrer rauen Stimme stundenlang lauschen können.

Was bedeutete wohl ländlicher Chic? Dass sich die Frau, die gerade dem Tod von der Schippe gesprungen war, über die Einrichtung ihres Zimmers auslassen würde – damit hatte Rosanna nicht gerechnet.

Mit einer schwachen Geste winkte Claudine Rosanna zu sich. Die Hand, die sie auf Rosannas Finger legte, fühlte sich warm, aber nicht mehr fiebrig an.

»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte die Frau schlicht. »Ich weiß nicht, wie ich dir dafür danken soll.«

Rosanna schüttelte lächelnd den Kopf. »Da gibt es nichts zu danken. Und jetzt trinken Sie den Tee, damit Sie schnell wieder auf die Beine kommen! Ihr Mann und Ihr kleines Mädchen brauchen Sie nämlich.« Sie beugte sich über die Kranke und wollte ihr etwas von dem Tee einflößen, doch die Frau nahm Rosanna die Tasse ab und führte sie mit zittriger Hand selbst an den Mund.



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