Alles Liebe oder watt? by Marie Matisek

Alles Liebe oder watt? by Marie Matisek

Autor:Marie Matisek
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2014-01-29T05:00:00+00:00


10.

Silke konnte sich nur mit äußerster Mühe konzentrieren. Dabei war dies eine Aufgabe, die ein höchstes Maß an Fingerspitzengefühl und Professionalität erforderte. Es war ihre erste Beerdigung in dem neuen Amt. Der Vater von Jens Bendixen wurde zu Grabe getragen. Er war bereits über achtzig gewesen, und sein Tod war erwartet worden, aber die Trauer der Angehörigen schmälerte dies kein bisschen.

Lasse Bendixen hatte zwei Söhne gehabt, Jens, den Gemeindevorsteher, und Jan. Beide hatten ihrerseits jeweils drei Söhne und Töchter, von denen bereits wieder einige schon Eltern waren. Dazu kamen Cousins und Cousinen jeden möglichen Grades, eine jüngere Schwester des Verstorbenen mitsamt großem Anhang – Silke hatte sehr schnell den Überblick verloren und sie hatte das starke Gefühl, dass ein Viertel der Sylter aus dem Geschlecht der Bendixens stammen musste. Die Trauergemeinde, die sich hier auf dem kleinen Horssumer Friedhof versammelt hatte und sich nun in Sichtweite um das Grab drängelte, war nahezu unüberschaubar.

Aber nicht die Menschenmenge war es, die Silke Sorgen bereitete.

Bisher war ja auch alles gutgegangen, die Feier in der Aussegnungshalle verlief reibungslos, sogar der Gang über den Friedhof. Aber hier, am offenen Grab, während sie sprach, war Silke zutiefst beunruhigt. Einerseits war da der Kranzständer, der so ungünstig an einer Ecke des Grabes stand und dazu einlud, dass man über ihn stolperte. Es war aber vor allem die Kombination aus dem hohen Alter einiger Trauernder, den Uniformen, in die sich diese gezwängt hatten, und dem heißesten Tag des Jahres. Sie war immer wieder abgelenkt und bei ihrer Rede nicht hundert Prozent bei der Sache.

Der gute alte Lasse Bendixen war zeit seines Lebens bei der freiwilligen Feuerwehr gewesen, wie auch seine beiden Söhne Jens und Jan. Er war zwanzig Jahre lang Hauptmann der Feuerwehr, und einige der alten Kameraden hielten ihm die Treue bis in den Tod. Das hieß, dass vier von ihnen, hochbetagt und im vollen Ornat, es sich nicht hatten nehmen lassen, als Sargträger zu fungieren. Sie wollten Lasse ihr letztes Geleit geben und gemeinsam mit den Söhnen den Sarg zu Grabe tragen. Nun hatte Silke den Verstorbenen nicht gekannt und hoffte, dass er zum Zeitpunkt seines Todes nicht den Umfang seiner Söhne gehabt hatte, aber allein der Sarg musste viele Kilo wiegen, weswegen sie vergeblich versucht hatte, die alten Herrschaften von ihrem Vorhaben abzubringen. Aber sie war, im wahrsten Sinne des Wortes, auf taube Ohren gestoßen.

Und so hatte sie mit ansehen müssen, wie die vier alten Männer, alle um die achtzig, in die Festtagsuniform der Feuerwehr dick eingepackt, den Sarg bei knapp über dreißig Grad Hitze Tippelschritt für Tippelschritt über den schattenlosen Friedhof schleppten. Alle, die im Trauerzug mitmarschierten, kämpften mit der Hitze, die schwarzen Kleider begünstigten Hitzestau und Kreislaufschwäche, aber niemand schien annähernd so gefährdet wie die vier alten Recken.

Silke rann unter ihrem Talar das Wasser in Strömen herab, aber das war nun ihre geringste Sorge. Sie stand am geöffneten Grab und blickte auf den aufgebockten Sarg. Die Familie hatte Silke gebeten, noch vor dem Kondolenzreigen ein paar Worte zu sagen, bevor der Sarg hinabgelassen wurde.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.