Alhambra by Kirsten Boie

Alhambra by Kirsten Boie

Autor:Kirsten Boie [Boie, Kirsten]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783862740444
Herausgeber: Oetinger E-Books
veröffentlicht: 2014-02-25T05:00:00+00:00


25.

Die Nacht in den Bergen war wie verzaubert. Im fahlen Licht des Mondes war der Weg bergauf vor seinen Füßen leicht zu erkennen; Sand und spitzkantige Steine, die knirschten, wenn Boston darauftrat, erschreckend laut in der Stille; ebene Felsplatten, von Menschenhand eingefügt, um das Gehen weniger beschwerlich zu machen; ab und zu ein Plateau, auf dem er rasten konnte. Noch weiter nach oben zu, noch viel weiter nach oben zu würde dieser Pfad sich über den Pass in der Sierra winden, von dem Salomon ihm berichtet hatte: Auch auf diesem Weg hätten sie die Alpujarras erreicht. Aber bis weit ins Frühjahr hinein war der Pass verschneit, und noch lange danach rannen eisige Rinnsale aus Schmelzwasser durch tief ausgewaschene Rinnen im Weg.

Jenseits der Gipfel lag Granada, unvorstellbar, dass sie so weit gewandert waren auf ihrem Weg am Fluss Xenil entlang. Boston setzte sich auf einen vorspringenden Felsen und sah hinab auf das Dorf, dessen weiße Häuser im Mondlicht leuchteten vor dem Bleigrau der Berge. Und unter dem Dorf das Tal, auf dessen Terrassen Mandelbäume wuchsen, Oliven; und am Ende des Tales das nächste, offenere Tal und schließlich Lanjarón und der Weg nach Granada zurück.

Noch immer war das Dorf nicht schlafen gegangen, in der nächtlichen Stille trugen die Geräusche weit. Der Klang einer Laute, Gelächter, Gesang. Der klagende Ruf eines Esels im Schlaf.

Ich bin nach 1492 gereist.

Wie wunderbar wäre es, wäre ich wirklich nur einfach hierher gereist, wie unglaublich schön diese Landschaft. Aber dies ist kein Land, das ich verlassen kann, wie ich nach Granada zurückwandern könnte, dies ist eine andere Zeit. Und vielleicht geht es schon längst nicht mehr um die Fliese und darum, auf welche Weise ich zurückfinden kann. Sondern ob für mich überhaupt noch jemals ein Weg zurück möglich ist. Ob es mich geben wird.

Warum um alles in der Welt war ihm das eben erst klar geworden?

Boston lehnte sich gegen den rauen Felsen in seinem Rücken. Er musste nachdenken.

Die Königin hatte Kolumbus fortgeschickt, Amerika würde nicht entdeckt werden.

Wenn aber Amerika nicht entdeckt würde …

Unten im Dorf hatten sie jetzt einen Chorgesang angestimmt, rhythmisch wurde in die Hände geklatscht, vielleicht wurde getanzt. Was gab es für die Mauren zu tanzen.

Wenn Amerika nicht entdeckt würde, dann würde die Geschichte von jetzt an anders verlaufen als in den Schulbüchern, ganz anders. Er atmete tief.

Sicher, irgendwann später würde irgendwer doch noch an seinen Küsten landen, kein Mensch konnte sich ja vorstellen, dass es für immer unentdeckt blieb. Irgendwer würde nach Westen segeln, irgendwann, und es würde bestimmt nicht mehr lange dauern. Was entdeckt werden kann, wird auch entdeckt. Nur eben später.

Aber werden es dann die Spanier sein, die es als Erste erreichen?, dachte Boston. Die sein Gold und sein Silber erbeuten, die reich werden dadurch, Armeen ausstatten? Werden es nicht vielleicht die Portugiesen sein oder die Engländer, Seefahrer wie das Volk der Könige, und was wird dann anderes geschehen? Was wird dann wann geschehen und wo?

Die gesamte Geschichte würde ja anders verlaufen; und wenn sie an ihrem Anfang anders verlief, wie sollte sie



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