Aber erst wird gegessen by Bittrich Dietmar

Aber erst wird gegessen by Bittrich Dietmar

Autor:Bittrich, Dietmar [Bittrich, Dietmar]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2013-10-09T22:00:00+00:00


Wenig später sollte es dann endlich so weit sein. Die große Bescherung. Darauf hatte ich mich schon den ganzen Tag gefreut, und ich hatte Mühe gehabt, mich im Zaum zu halten. Schließlich wusste ich bereits, was ich bekommen sollte, hatte monatelang von meinem Geschenk geschwärmt und war nicht müde geworden, subtil zu erwähnen, wie sehr ich mich freuen würde.

Es war ungewöhnlich für mein Alter, Stichwort Stoffschimpanse. Lebensgroß. Batteriebetrieben. Konnte sprechen. Und mit «konnte sprechen» meine ich, er beherrschte zwei Sätze. Hugo hat Hunger und Ich will schlafen. Am Anfang dachte ich noch, dass man sich etwas mehr Mühe hätte geben können, aber wenn ich genau darüber nachdachte, war mein aktiver Wortschatz auch nicht wesentlich größer, und eigentlich empfand ich diese minimalistische Reduktion sprachästhetisch als äußerst reizvoll. Im Wesentlichen war der Sinn des Lebens in diesen zwei Sätzen komprimiert.

Ja, ich war mir sicher: Dieser Schimpanse war der größte Philosoph der Neuzeit. Ein zweiter Nietzsche. Dieser Schimpanse sollte mein treuer Begleiter werden. Bei Karstadt stand er seit zwei Wochen nicht mehr, und ein mysteriöses Paket im Flur zeichnete eindeutig einen schimpansenartigen Grundriss nach. Ich freute mich wie bekloppt und stellte mir vor, wie wir beide gemeinsam mit einem guten Glas Cognac in einem Ohrensessel sitzen würden. Auf unserem Schoß ein altes staubiges Werk von Baudrillard, Die Agonie des Realen. Draußen die Welt. Uns egal. Ich würde ihn fragen: «Und, mein Freund, was hältst du so im Allgemeinen von der Baudrillard’schen Simulationstheorie?» – «Hugo hat Hunger.»

«Komm mal mit, Junge.» Opa zerrte mich in den Flur. «Wir haben diesen komischen Schimpansen besorgt. Sören wird sich sicher freuen. Willst du ihn überreichen? Schließlich war es deine Idee. Hast mir ja seit einer Ewigkeit damit in den Ohren gelegen. «Überreichen? Sören?» – «Na, das ist dein Neffe.» – «Schon klar. Aber nix da! Hugo ist für mich!» – «Hugo?» – «Der Schimpanse.» – «Was willst du mit dem albernen Schimpansen?» – «Er kann reden. Hier, schau mal…» – Ich wollte gerade durch das Geschenkpapier den Ansatz seines Bäuchleins kraulen, da fuhr Opa dazwischen. «Jetzt werd’ bloß nicht albern. Teilt doch einfach.» Er verließ sichtlich genervt den Raum und ging in die Küche.

Immer derselbe Mist. Das war schon damals mit meinem Bruder so. Aber jedes Jahr musste ich mit ansehen, was der Junge für großartiges Spielzeug geschenkt bekam. Nicht, dass ich neidisch gewesen wäre, aber … ach, egal. Na gut. Ich war neidisch. Mein Bruder bekam jedes Jahr das Paradies auf Erden geschenkt, und wusste er das zu schätzen? Da bekam so ein kleiner Stinker ein gigantisches Playmobil-Parkhaus, und alles, was er dazu zu sagen hatte, war «AA gemacht, Töpfchen muss». Wissen Sie, was ich mir da immer dachte? «Grmpf.» Kennt man aus Comicgedankenblasen. Eine spezielle Art des Zorns, nicht jähzornig und aggressiv, sondern subtiler, einen plötzlichen Tobsuchtsanfall unterdrückend, beleidigt und trotzig, dabei aber liebenswert. «Grmpf» halt.

Verdammte Axt! Hugo gehörte mir. «Nicht wahr, Hugo?» Im Geiste sah ich in seine treuen Schimpansen-Knopfaugen. Teilen? Tss. Sah ich aus wie Sankt Martin? Und mir würde man dann wahrscheinlich wieder Bücher schenken.



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