Wer bin ich - und wenn ja wie viele?: Eine philosophische Reise (German Edition) by Richard David Precht

Wer bin ich - und wenn ja wie viele?: Eine philosophische Reise (German Edition) by Richard David Precht

Autor:Richard David Precht [Precht, Richard David]
Die sprache: deu
Format: azw3
Herausgeber: Goldmann Verlag
veröffentlicht: 2008-12-31T16:00:00+00:00


OXFORD

Jenseits von Wurst und Käse

Dürfen wir Tiere essen?

Stellen Sie sich vor, eines Tages landen fremde Wesen aus dem All auf unserem Planeten. Wesen wie in dem Hollywood-Spielfilm Independence Day. Sie sind unglaublich intelligent und dem Menschen weit überlegen. Da nicht immer ein todesmutiger US-Präsident im Kampfflugzeug zur Verfügung steht und diesmal kein verkanntes Genie die außerirdischen Computer mit irdischen Viren lahmlegt, haben die fremden Wesen die Menschheit in kürzester Zeit besiegt und eingesperrt. Eine beispiellose Terrorherrschaft beginnt. Die Außerirdischen benutzen die Menschen zu medizinischen Versuchen, fertigen Schuhe, Autositze und Lampenschirme aus ihrer Haut, verwerten ihre Haare, Knochen und Zähne. Außerdem essen sie die Menschen auf, besonders die Kinder und Babys. Sie schmecken ihnen am besten, denn sie sind so weich, und ihr Fleisch ist so zart.

Ein Mensch, den sie gerade für einen medizinischen Versuch aus dem Kerker holen, schreit die fremden Wesen an:

»Wie könnt ihr so etwas tun? Sehr ihr nicht, dass wir Gefühle haben, dass ihr uns weh tut? Wie könnt ihr unsere Kinder wegnehmen, um sie zu töten und zu essen? Seht ihr nicht, wie wir leiden? Merkt ihr denn gar nicht, wie unvorstellbar grausam und barbarisch ihr seid? Habt ihr denn überhaupt kein Mitleid und keine Moral?«

Die Außerirdischen nicken.

»Ja, ja«, sagt einer von ihnen. »Es mag schon sein, dass wir ein bisschen grausam sind. Aber seht ihr«, fährt er fort, »wir sind euch eben überlegen. Wir sind intelligenter als ihr und vernünftiger, wir können lauter Dinge, die ihr nicht könnt. Wir sind eine viel höhere Spezies, ein Dasein auf einer ganz anderen Stufe. Und deshalb dürfen wir alles mit euch machen, was wir wollen. Verglichen mit uns, ist euer Leben kaum etwas wert. Außerdem, selbst wenn unser Verhalten nicht ganz in Ordnung sein sollte – eines steht trotzdem fest: Ihr schmeckt uns halt so gut!«

Peter Singer war ein nachdenklicher junger Mann, als er im Herbst 1970 im großen Speisesaal der Universität Oxford saß und ein Rindersteak aß. Aber über fiktive Außerirdische und ihre mögliche Menschenfresserei hatte er sich noch nie Gedanken gemacht. Erst vor kurzem war er aus Australien nach England gekommen, um nach seinem Philosophiestudium in Melbourne das erste Mal selbst an einer Universität zu unterrichten. Schon als Jugendlicher hatte sich Singer für kaum etwas so sehr interessiert wie für Philosophie und für die Frage nach dem richtigen Leben. Seine Eltern stammten aus Wien, und sie waren Juden. Die grausame Verfolgung der Juden in Deutschland und Österreich in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft hatte sie 1938 dazu gezwungen, das Land zu verlassen. Sie waren noch sehr junge Leute gewesen und flohen von Österreich nach Australien. Ihre eigenen Eltern aber, Peter Singers Großeltern, wurden von den Nationalsozialisten verhaftet und im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet.

Singer hatte sein Studium sehr ernst genommen, vor allem die Fragen der Ethik. Er wollte wissen, was gut und böse, was ein richtiges und ein falsches Leben ist. Als er im altehrwürdigen Speisesaal bei seinem Steak saß, bemerkte er, wie ein Student an seinem Tisch das Fleisch auf seinem Teller beiseitelegte. Singer fragte den Studenten



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