Der Seele einen Garten schenken by Küstenmacher Marion

Der Seele einen Garten schenken by Küstenmacher Marion

Autor:Küstenmacher, Marion [Küstenmacher, Marion]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-GVH Religion und Gesellschaft
veröffentlicht: 2017-02-26T23:00:00+00:00


KOMPOST

* * *

oder Der Mist in unserem Leben

Der Kompost ist kein Abfallhaufen,

er ist die Seele des Gartens.

Johannes Roth

Zu unserem ersten Haus gehörte ein nicht allzu großer Garten, den man mit etwas Liebe und Zeit bequem pflegen und dann vor allem genießen konnte. Schnittgut und Grünabfälle wanderten mitsamt den Küchenabfällen in einen hinter Efeuranken versteckten Kompostbehälter und verwandelten sich dort gemächlich in genau die Menge Humus, die ich zur Versorgung für meine Pflanzen brauchte. Ein fein ausbalancierter Wechsel fand hinter den grünen Wänden statt. Die dunkle Hebamme des Lebens, der Tod, verwandelte abgestorbenes Material zu neuem Leben. Je sorgfältiger man Feuchtes und Trockenes, Krautiges und Holziges zerkleinert und abwechselnd aufgeschichtet hatte, desto besser reifte der Kompost. Beim regelmäßigen Umschichten wurde das Innere des Haufens nach außen gekehrt und das Obere nach unten. Die frische Luft tat dem Verrottungsprozess gut, und zur Belohnung für diese nicht allzu große Mühe erntete man nach einem halben Jahr feinkrümeligen, frischen Humus mit herrlich erdigem Geruch. Die neue Substanz war das Lebenselixier des Gartens, eine schwarzbraune betörende Kraft, die blühende Wunder vollbringen half.

Dann verkauften wir das zu klein gewordene Haus mitsamt seinem überschaubaren »grünen Wohnzimmer« und machten uns an das Abenteuer, ein reichlich heruntergekommenes Haus mit einem größeren Garten zu renovieren, der jahrelang sich selbst überlassen gewesen war.

Was bei den Besichtigungsterminen noch verwunschen und wildromantisch ausgesehen hatte, entpuppte sich schnell als schier unentwirrbarer Dschungel aus teilweise schon völlig abgestorbenen Bäumen und Sträuchern. Das empfindliche Gleichgewicht zwischen Wachsen und Verblühen, Geben und Nehmen, Werden und Vergehen war völlig aus den Fugen geraten. Die Verwandlung von toter Masse in fruchtbare Energie war zu lange unterbrochen gewesen. Der Garten drohte oberirdisch an seinen eigenen verbrauchten und abgestorbenen Anteilen zu ersticken und unter der Erde wegen Nährstoffmangel zu verhungern.

Das Ausräumen der vom Garten selbst produzierten Grünabfälle glich einem intensiven innerseelischen Aufräumprozess. Auch in der Seele kann es Phasen geben, in denen sie mit besonders viel Abfallmaterial fertig werden muss und gleichzeitig an Auszehrung leidet. Die mittelalterlichen Alchimisten lehrten, dass das Allerwertvollste, das Gold der Weisen, auf dem Misthaufen gefunden werden kann. Sie hatten erkannt, dass im tiefsten Unterbewusstsein, im innerpsychischen Rottehaufen, in den Dingen, die wir nicht gleich verarbeiten, verdauen oder assimilieren können, künftige Lebenskraft schlummert. Die Traumstudien der modernen Tiefenpsychologie belegen, dass Träume von Exkrementen und Toiletten immer dann sehr häufig sind, wenn unsere Seele auf ein schöpferisches Potenzial hinweisen will, das noch auf Verwirklichung wartet.

Für einen Mystiker wie Johannes Tauler liegt die Lösung dieses Problems im rechten Umgang mit unseren unreifen Persönlichkeitsanteilen: »Dein Mist, das sind deine eigenen Mängel, die du nicht beseitigen, nicht überwinden noch ablegen kannst. Nun, genau die trage mit Mühe und Fleiß auf den Acker des liebreichen Willens Gottes in rechter Gelassenheit deiner selbst. Streue deinen Mist auf dieses Feld, daraus sprießt ohne allen Zweifel edle, wonnigliche Frucht auf.« So gesehen, produzieren wir nicht nur allerhand Mist im Leben, sondern mit etwas Geduld dabei auch den künftigen Humus, aus dem sich unsere verbrauchten Seelenkräfte regenerieren können.



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