Unverbrüchlich aus der Zeit gefallen by Seitz Norbert
Autor:Seitz, Norbert [Seitz, Norbert]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-10-10T00:00:00+00:00
2013 ff.
Nach der Bundestagswahl 2009 mit dem historischen Rekordtief von 23 Prozent machte sich tiefe Ratlosigkeit in der SPD breit. Denn trotz aller Dämonisierung der Wirtschaft und Attacken auf Spekulationswut, Managergier und Machthunger verfehlte die von Franz Müntefering geführte Partei die Stimmung im Lande um Weiten. Denn nicht nur die neoliberale Vorstellung war gescheitert, dass deregulierte Märkte und globaler Finanzverkehr permanentes Glück zu schaffen imstande seien. Auch die sozialdemokratische Rückkehr zu mehr Staat mit alten Keynes-Rezepten schien bei einer Staatsquote von fünfzig Prozent und einer achtzigprozentigen Überschuldung geradezu abenteuerlich. Die Partei musste die bittere Erfahrung machen, dass von ihren staatsfrommen Rezepten selbst in Zeiten der größten Krise des Kapitalismus seit 1945 keine zündende Idee oder gar Vision zum Aufbruch mehr ausgeht. So konnten die »Blätter für deutsche und internationale Politik« damals spotten, die SPD sei eine »Volkspartei in Idealform, weil sie von fast allen Bevölkerungsgruppen in gleicher Zurückhaltung gewählt wird.«
Heute begeht die SPD ihren 150. Geburtstag mit gedämpften Zukunftserwartungen.
Zumindest wirkt das Dino-Gehabe eines Ältesten im Bund auf Jüngere kaum attraktiv, zumal wenn es sich dabei zum Teil noch in skurril bis gruftihaft wirkender Folklore darzustellen pflegt. Der triefende Traditionalismus in der SPD dünkt sich empathisch und ist es doch gerade nicht. Nur abgeschliffene, sentimentale Routine, mehr nicht: Max Horkheimer, Philosoph der Frankfurter Schule, bemerkte einmal, das Beschwören von Tradition sei Ausdruck einer »fehlenden«. Der Komponist Gustav Mahler drückte es noch drastischer aus: Tradition sei »Schlamperei«. Sie lenke nur von der tristen Gegenwart und ungewissen Zukunft ab. Dass Willy Brandt umso mehr bewundert wird, je länger er tot ist, offenbart die personelle und visionäre Leere der Partei. Manche Kritiker leisten sich deshalb den wohlwollenden Sarkasmus, man möge doch die riesige Fetting-Plastik aus der Parteizentrale anderenorts platzieren, damit die davor auftauchenden Figuren am Rednerpult nicht mehr ganz so bedeutungsadäquat »klein« wirkten.
Hohe runde Daten verleiten zu nostalgischen Blicken und geschönten Bilanzen. Solche Jubeldaten dienen in der Regel der Mythen- und Legendenverbreitung, der wehmütigen Erinnerung an alte Illusionen und der Neuauflage von Rechthabereien. Gerade in der SPD besteht eine große Neigung zu dieser Art der Vergangenheitsaufarbeitung. Sie ist geprägt von zwei komplementären Haltungen, dem Hang zu einer siegergeschichtlichen Pose und zu einer sentimentalen Trauerarbeit über verpasste Chancen. Meist folgt auf die Trauerarbeit der siegergeschichtliche Trotz, es am Ende doch immer geschafft und von der Orientierung her richtig gelegen zu haben.
Die Sieger der Geschichte hätten nicht aufgehört zu siegen, heißt es beim jüdisch-messianisch denkenden Philosophen Walter Benjamin. Willy Brandt hat immer davor gewarnt, sich der Geschichte »wie eines Schlagstocks« zu bedienen. Der moralische Hochmut, auf der richtigen Seite gekämpft zu haben, ist in der SPD üblich.
Die gruselige Antifaschismus-Legende der Parteikommunisten bietet hierfür das abschreckende, siegergeschichtliche Muster. Es versucht, den Holocaust aus der schlicht gestrickten Systemlogik des dämonisierten Finanzkapitals zu erklären, und erteilt dem Volk damit eine Generalabsolution. So darf sich das proletarische Kollektiv als unschuldiges Systemopfer fühlen. Als historische Konsequenz aus den nationalsozialistischen Jahrhundertverbrechen wird damit ein rechtmäßiges Machtmonopol der Kommunisten abgeleitet.
Es hat aber auch in der SPD immer einen unangemessenen siegergeschichtlichen Reflex gegeben, wenn auch nicht mit der oben angedeuteten radikalen Konsequenz.
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