Der Fall by Camus Albert

Der Fall by Camus Albert

Autor:Camus, Albert [Camus, Albert]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-01-31T23:00:00+00:00


Sie täuschen sich, mein Lieber, das Schiff fährt sogar ziemlich schnell. Aber die Zuidersee ist ein totes Meer, oder doch beinahe. Bei ihren flachen, im Dunst verschwimmenden Ufern weiß man nicht, wo sie anfängt, wo sie aufhört. Darum finden wir nirgends einen festen Punkt, an dem wir unsere Geschwindigkeit abschätzen könnten. Wir fahren, und alles bleibt unverändert. Das ist keine Schifffahrt, das ist Traum.

Im griechischen Archipel zum Beispiel hatte ich den entgegengesetzten Eindruck. Unaufhörlich tauchten im Rund des Horizonts neue Inseln auf. Ihr baumloses Rückgrat zeichnete die Grenze des Himmels ein, und ihr felsiges Ufer hob sich deutlich vom Meer ab. Nichts Verwischtes – im scharfen Licht wurde alles zum Anhaltspunkt. Und obwohl unser kleines Schiff nur langsam dahinkroch, hatte ich das Gefühl, Tag und Nacht auf den Kämmen der kurzen, kühlen Wellen in einem von Schaum und Lachen erfüllten Wettlauf unablässig von Insel zu Insel zu hüpfen. Seit jener Zeit treibt irgendwo in mir, am Saum meines Gedächtnisses, Griechenland selber unermüdlich dahin … Oho, nun lasse auch ich mich treiben, ich werde ja lyrisch! Werfen Sie mir ein Haltetau zu, mein Lieber, ich bitte Sie darum!

Kennen Sie übrigens Griechenland? Nein? Umso besser. Was hätten wir dort schon zu suchen? Wir müssten reinen Herzens sein. Wissen Sie, dass dort die Freunde Hand in Hand selbander durch die Straßen spazieren? Ja, die Frauen bleiben zu Hause, dafür sieht man reife, achtunggebietende, schnauzbärtige Männer paarweise in ernsthaftem Gespräch die Gehsteige auf und ab wandeln, ihre Finger mit denen des Freundes verschlungen. Im Orient auch zuweilen? Mag sein. Aber sagen Sie mir, würden Sie mir in den Straßen von Paris die Hand geben? Das kann mein Ernst nicht sein! Wir wissen uns zu benehmen, nicht wahr, der Dreck verleiht uns Haltung. Bevor wir uns auf den griechischen Inseln zeigen dürften, müssten wir uns gründlich waschen. Dort ist die Luft keusch, die See und die Lust sind lauter. Wir aber …

Setzen wir uns auf diese Deckstühle. Welch ein Dunst! Ich war, glaube ich, auf dem Weg des Un-Gemachs stehengeblieben. Ich sage Ihnen gleich, was das heißt. Nachdem ich mich vergeblich gewehrt, alle Trümpfe meiner Überheblichkeit ausgespielt hatte, beschloss ich, entmutigt durch die Nutzlosigkeit meiner Anstrengungen, mich aus der Gesellschaft der Menschen zurückzuziehen. Ach nein, ich habe nicht nach einer verlassenen Insel gesucht, es gibt keine mehr. Ich habe mich bloß zu den Frauen geflüchtet. Sie wissen ja, dass die Frauen keine Schwäche wirklich verdammen; eher würden sie versuchen, unsere Kräfte zu demütigen oder zu untergraben. Darum ist die Frau nicht die Belohnung des Kriegers, sondern des Verbrechers. Sie ist sein Zufluchtsort, sein Port, im Bett der Frau wird er am häufigsten verhaftet. Ist sie nicht das Einzige, was uns vom irdischen Paradies verbleibt? In meiner Ratlosigkeit suchte ich also eilends meinen naturgegebenen Hafen auf. Ich hielt freilich keine Reden mehr. Aus alter Gewohnheit spielte ich noch ein wenig, doch mangelte es mir an Erfindungsgabe. Ich habe Hemmungen, es zu bekennen, weil ich wohl nochmals ein paar unflätige Worte gebrauchen muss: Mir scheint in der Tat, dass ich zu jener Zeit ein Bedürfnis nach Liebe verspürte.



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