Unpopuläre Betrachtungen (German Edition) by Russell Bertrand

Unpopuläre Betrachtungen (German Edition) by Russell Bertrand

Autor:Russell, Bertrand [Russell, Bertrand]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Kontor New Media GmbH
veröffentlicht: 2012-03-06T23:00:00+00:00


»Gebär mir Söhne nur!

Aus deinem unbezwungenen Stoffe können

Nur Männer sprossen.«

Alle diese Redensarten erklären sich aus dem zähen Festhalten an törichten Verallgemeinerungen.

Sogar auf wirtschaftlichem Gebiet herrscht der Aberglaube. Weshalb schätzen die Menschen Gold und Edelsteine? Bestimmt nicht nur ihres Seltenheitswertes wegen. Es gibt eine Anzahl Elemente, die sogenannten Edelerden, die viel seltener sind als Gold, und für die mit Ausnahme einiger besonders interessierter Wissenschaftler trotzdem niemand einen roten Heller ausgeben würde. Es gibt eine Theorie – und sie hat viel für sich —, derzufolge Gold und Edelsteine ursprünglich nach den ihnen zugeschriebenen Zauberkräften bewertet wurden. Die Fehler der modernen Regierungen lassen erkennen, dass dieser Irrglaube unter den sogenannten »Männern des praktischen Lebens« noch heute verbreitet ist.

Nach dem ersten Weltkriege wurde ein Abkommen getroffen, dass Deutschland gewaltige Summen an England und Frankreich, und die europäischen Siegermächte ihrerseits Riesensummen an die Vereinigten Staaten zu zahlen hatten. Alle Vertragspartner wollten in bar bezahlt werden. Offenbar übersahen die »Realisten«, dass es so viel Geld auf Erden gar nicht gibt. Und sie übersahen ferner, dass Geld nutzlos ist, wenn es nicht für den Einkauf von Waren verwandt wird. Da sie es nicht für diesen Zweck benutzten, hatte kein Mensch davon Nutzen. Die Vorstellung von einer an das Gold gehefteten geheimnisvollen Kraft ließ es als der Mühe wert erscheinen, das gelbe Metall erst in Transvaal auszugraben und dann in Amerika wieder einzugraben, d. h. in unterirdischen Banktresoren zu verstecken. Natürlich hatten sich eines Tages die Barmittel der Schuldnerländer erschöpft, und da sie nicht in Waren bezahlen durften, machten sie bankrott. Die anschließende Weltwirtschaftskrise war also eine unmittelbare Folge der noch immer lebendigen Vorstellung, dass dem Golde eine magische Kraft innewohne. Heute scheint dieser Aberglaube überwunden zu sein, aber man kann gewiss sein, dass ein anderer an seine Stelle treten wird.

Die Politik wird weitgehend beherrscht von sentenziösen, jeder Wahrheit baren Plattitüden. Eine der populärsten und, so wie sie heute angewandt wird, unzutreffendsten Thesen ist die von der Unveränderlichkeit der sogenannten »menschlichen Natur«. Niemand kann die Gültigkeit oder Ungültigkeit dieser Theorie beweisen, ohne zuvor den Begriff »menschliche Natur« definiert zu haben. Wenn aber jemand diese Weisheit mit wichtiger und unheilkündender Miene von sich gibt, will er damit nur sagen, dass sich seiner Meinung nach alle Menschen allerorten in Ewigkeit so benehmen werden wie seine Mitbürger in seinem Heimatstädtchen.

Schon ein klein wenig Anthropologie genügt, um mit diesem Irrtum aufzuräumen. In Tibet müssen die Frauen sich mehrere Männer nehmen, weil einer allein sie angesichts der dort herrschenden Armut nicht ernähren könnte. Trotzdem ist das tibetanische Familienleben nicht weniger glücklich und harmonisch als in anderen Ländern. Bei vielen unzivilisierten Stämmen besteht die Sitte, einem Gast als Zeichen der Höflichkeit die eigene Frau auszuleihen. Die australischen Ureinwohner unterziehen sich bei Eintritt der Mannbarkeit einer äußerst schmerzhaften Operation, die ihre sexuelle Potenz für den Rest ihres Lebens erheblich herabmindert. Der Kindermord, welcher der menschlichen Natur doch widersprechen sollte, war vor dem Aufkommen des Christentums gang und gäbe; Plato empfiehlt ihn als nützliches Mittel zur Verhütung der Überbevölkerung.

Es gibt Eingeborenenstämme, denen der Begriff des persönlichen



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