Und dann kam Ute by Atze Schröder

Und dann kam Ute by Atze Schröder

Autor:Atze Schröder [Schröder, Atze]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644212916
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2013-09-19T22:00:00+00:00


Eine halbe Stunde später saßen wir in einem Berliner Doppeldeckerbus, den ich kurzfristig gechartert hatte, und fuhren Richtung Flughafen Tempelhof – die Schokotörtchen, Pierre der Akkordeonkoch und noch einige andere, die ich nicht kannte, die aber bei der Langustenparty durch hemmungsloses Tanzen positiv aufgefallen waren. Was für ’ne Truppe! Zu den fröhlichen Akkordeonklängen von «Bolle reiste jüngst zu Pfingsten» sangen wir uns in Partylaune und verdrückten ein paar Kaviarbouletten, die der gute Pierre im Koffer seines Instrumentes rausgeschmuggelt hatte.

Mein Plan war einfach. Unter dem alten Flughafen Tempelhof gibt es die sogenannten Tempelhofer Katakomben. Von den Nazis gebaut, von den Amis als Hauptquartier ihrer Streitkräfte weitergenutzt, ist diese Anlage zwar nicht so riesig, wie oft behauptet wird, aber dennoch ausgesprochen groß und eindrucksvoll. Der Öffentlichkeit sind nur drei Stockwerke bekannt, aber wenn man die richtigen Leute kennt, gibt es noch eine Etage mehr, und zwar die entscheidende, die geheimnisvolle «Vierte». Darin gab es mehrere ineinander übergehende unterirdische Hallen, die während des Krieges von den Nationalsozialisten zur Montage von Jagdflugzeugen genutzt worden waren. Nach dem Krieg ließ sich der legendäre flugzeugverrückte amerikanische Milliardär Howard Hughes eine dieser Hallen als geheimes Privatrefugium umbauen. Ebenso legendär wie Hughes selbst war nämlich seine paranoide Angst vor Bakterien, die ihn dazu bewog, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Er glaubte, tief unter der Erde wäre er vor Keimen geschützt. Hughes investierte mehrere hundert Millionen Dollar in den Umbau. Es gab zehn Schlafzimmer, vier Küchen, diverse Salons, zur Selbstversorgung einen kleinen Bauernhof, eine Garage für dreißig Autos, ein Kino und – sein ganzer Stolz – den Miniaturnachbau der Strandpromenade von Waikiki Beach mit feinstem hawaiianischem Sand. Und zwar inklusive der Hotelfassade des «Royal Hawaiian», einer 23 Meter hohen Nachbildung des «Diamond Head»-Felsens und der Strandcafés. Der einzige heute noch existierende Zugang zu diesem unterirdischen Badeparadies ist in der U-Bahn-Station am Tempelhofer Damm/Ecke Paradestraße. Wenn man ungefähr hundert Meter in den Versorgungsschacht hineinläuft, kommt man zu einem geräumigen Lastenaufzug, der angeblich nur bis zum dritten Stockwerk unter die Erde fährt. Der Trick ist, viermal auf den dritten Knopf zu drücken. Schon fährt man in den vierten Stock ein. Nur sehr wenige Menschen in Deutschland und Amerika wissen von diesem Zugang. Bei mir war es purer Zufall, dass ich überhaupt davon erfuhr. Als der Flughafen Tempelhof noch in Betrieb war, musste ich einmal, weil mein Flieger Verspätung hatte, noch reichlich Zeit totschlagen. Ich ging also in die Flughafen-Bar «Cockpit», die allen, die damals von oder nach Tempelhof flogen, sicher noch bekannt ist. An der Bar standen bester Laune zwei Würdenträger der deutschen Hochkultur: Harald Juhnke und Gunter Gabriel. Begeistert gesellte ich mich, noch völlig nüchtern, wie ich war, dazu. Selbstredend verpassten wir alle unseren Flieger. Nach fünf Stunden sagte Juhnke trocken: «Ick geh jetz baden, wa?» Kurze Zeit später standen wir staunend an Hughes’ unterirdischem Strand. Seitdem ziehe ich diesen Joker immer wieder gerne, um der gepflegten Langeweile einer Hotelsauna zu entkommen.



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