Ueber Deutschland by Germaine de Staël

Ueber Deutschland by Germaine de Staël

Autor:Germaine de Staël [Staël, Germaine de]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-05T16:00:00+00:00


Man kann sich nicht enthalten, im Werner die tiefe Menschenkenntniß zu bewundern; nur wünschte man, er möchte, seinen Schwärmereien entsagend, öfter auf ebener Erde stehen bleiben, um über seine dramatischen Werke seinen Beobachtungsgeist ausgießen zu können.

Luther wird von Carl V. zurückgeschickt, eine Zeitlang in der Festung Wartburg verschlossen gehalten, weil seine Freunde, an deren Spitze der Churfürst von Sachsen stand, ihn dort sicher hielten, und tritt endlich wieder in Wittenberg auf, von wo er seine Lehre über das nördliche Deutschland verbreitet hatte.

Gegen das Ende des fünften Acts, predigt er, mitten in der Nacht, in der Hauptkirche von Wittenberg, wider die alten Irrthümer, und verheißt, bald würden sie verschwinden, und dem neuen Lichte Platz machen. In diesem Augenblicke sah man, auf der Berliner Bühne, die Kerzen auf dem Altare allmählig verlöschen und die Morgenröthe durch die gothischen Fensterscheiben hereinbrechen.

Die Weihe der Kraft ist ein so lebendiges, ein Stück von solcher Abwechselung, daß man leicht begreifen kann, wie sehr es gefallen mußte; gleichwohl wird man oft von dem Hauptgegenstand durch seltsame Nebenumstände und Allegorieen abgezogen, welche einem historischen Stücke, und vorzüglich einem dramatischen Kunstwerke, keinesweges angemessen sind.

Im ersten Augenblick, wo Catharina Luthern erblickt, den sie bisher, dem Namen nach, verabscheute, ruft sie aus: «Mein Urbild!» und die heftigste Liebe tritt in ihre Seele ein. Werner ist der Meinung, es sey Prädestination in der Liebe; er meint, zwei für einander geschaffene Herzen müssen sich beim ersten Anblick erkennen und verstehen. Dieses ist eine allerliebste Lehre, für eine metaphysische Form oder für ein Madrigal; nur auf der Bühne ist sie unzulässig und unverständlich. Nichts ist seltsamer als der Ausruf: «Mein Urbild!» auf Martin Luther angewandt, den man sich als einen wohlgenährten, gelehrten, scholastischen Mönch denkt, auf welchen der allerromanhafteste Ausdruck, den man der modernen Theorie der schönen Künste abborgen kann, auf keine Weise paßt.

Zwei Engel, in der Gestalt eines Jünglings, Luthers Famulus, und eines Mädchens, Catharinens jüngerer Freundin, scheinen das Stück mit Hyacinthen und Palmen, wie mit den Symbolen der Reinheit und des Glaubens, zu durchwirken. Beide Engel verschwinden zuletzt, die Einbildungskraft folgt ihnen in die Lüfte nach; aber das Pathetische ist weniger eindringend, wenn man, um es zu erregen und die Situation zu verschönern, sich phantastischer Bilder bedient; dadurch entsteht ein Vergnügen neuer Art, nur nicht das, welches eine Folge der Gemüthsrührung ist; denn innere Bewegung ohne Sympathie ist unmöglich. Auf der Bühne will man schon einmal die Personen als wirkliche Wesen beurtheilen; ihre Handlungen tadeln, billigen; man will sie errathen, sie begreifen, sich in ihre Stelle versetzen, um das ganze Interesse des wirklichen Lebens zu fühlen, ohne die Gefahren desselben theilen zu dürfen.

Werners Meinungen in Hinsicht auf Religion und Liebe verdienen die tiefste Untersuchung, dürfen nicht leichtsinnig behandelt werden. Was er fühlt, ist allerdings für ihn wahr; da aber, besonders in diesem Punkt, die Art zu sehen und die Eindrücke jedes Einzelnen so sehr von einander abweichen, so sollte sich freilich nicht, zur Fortpflanzung seiner persönlichen Meinungen, der Schriftsteller einer wesentlich allgemeinen und populären Kunst, der dramatischen, bedienen.

Eine zweite Arbeit Werners, ein überaus schönes und originelles Kunstwerk, ist sein Attila.



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