Spin it! by Mathias Ulmann

Autor:Mathias Ulmann [Ulmann, Mathias]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Societäts-Medien GmbH
veröffentlicht: 2015-11-23T00:00:00+00:00

a. Immer den Überblick behalten

Das Spin-Doctoring kann also als ein geisteswissenschaftliches Fach betrachtet und definiert werden. Der Spin-Doktor ist belesen und besitzt einen hohen Grad an Bildung. Er hat wahrscheinlich einen Abschluss einer renommierten Universität (eine sogenannte „Grande École“ wie die Franzosen sagen). Er hat sich ein Spektrum analytischer, methodischer, kommunikativer und sozialer Kompetenzen erarbeitet und verfügt normalerweise über eine exzellente schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit. Er hat sich diese Fähigkeiten durch ein intensives interdisziplinäres Studium angeeignet, welches politische Wissenschaften, Geschichte, Soziologie, aber auch Wirtschaft und Journalismus umfasst. In diesem Punkt mag der Spin-Doktor vielleicht ein wenig altmodisch wirken, aber er liest viel und gern, diskutiert genauso viel und streitet genauso gern mit Akademikern aller Fachrichtungen über aktuelle Entwicklungen.

Sind aber heutzutage die Geisteswissenschaften nicht weitgehend überflüssig geworden? Wer braucht sie eigentlich noch im digitalen Zeitalter? Im Zeitalter von Big Data? Heutzutage werten vollautomatische Softwares mittels Textanalyse unzählig viele Daten aus. Sind also clevere Systeme nicht vielleicht doch besser als der menschliche Geist? Dies wird so schnell nicht geschehen, nicht nur weil Daten-Tracking tatsächlich inkompatibel mit unserem demokratischen Werte- und Datenschutzsystem sind. Ethische Bedenken sind jedoch nicht das einzige Limit, es gibt auch ein großes Fragezeichen bezüglich der Relevanz der Technik. Die Datensammler, unabhängig davon, ob es sich um Sicherheitsdienste, Politiker oder Manager handelt, sollten zuerst lernen, richtig mit den bereits vorhandenen Daten umzugehen. Der Informationsgehalt der Daten ist schwer zu definieren, wenn zum Beispiel zahlreiche Familienmitglieder dasselbe Tablet im Haushalt nutzen. Smart Data ist also nicht eine Frage für die Zukunft. Unternehmensspezifische Erkenntnisgewinne sind nur mit einer sinnvollen Zusammenführung der Datenmengen und -vielfalt möglich. Der Mensch ist der einzige, der diese Zusammenführung erstellen kann, deshalb wird er auch weiterhin Herr über die Computer bleiben.

Die Bedeutung der geistwissenschaftlichen Fächer solle auf gar keinen Fall unterschätzt werden. „Und was kann man damit später mal machen?“, wird oft gefragt, wenn von Geisteswissenschaften die Rede ist. Die Gestaltung und der Einsatz komplexer Informatiksysteme verlangen auch die Fähigkeit zum Analysieren und zum Problematisieren. Die heutigen geheimdienstlichen Abhörmethoden SIGINT (Signals Intelligence) brauchen immer noch HUMINT (Human Intelligence), um gesammelt und bewertet zu werden. Wer Daten in der Wirtschaft sammelt, muss auch definieren, zu welchem Zweck er es tut, er muss es aber auch strategisch durchführen. Darüber hinaus braucht unsere digitale Gesellschaft mehr denn je neugierige Menschen, die neue Perspektiven auf Gewohntes eröffnen, die Sachverhalt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und die Sinnfrage stellen. Unsere „Welt der Komparative“ braucht dringend Menschen, die Dinge hinterfragen und vorschnelle Lösungen kritisieren. Es wird immer schwieriger, das Entscheidende zu erkennen und zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden. Der leider viel zu früh verstorbene F.A.Z.-Herausgeber und Feuilletonist Frank Schirrmacher war ein Vertreter dieses intellektuellen Wissensdursts und hat dessen essentielle Bedeutung betont, wenn wir „die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen“ wollen, wie er schrieb. Es geht hier nicht um die Generationengrenze zwischen „Digital Natives“ und „Digital Immigrants“ und auch nicht um dogmatische Verkrustungen, sondern um das Wohl unserer gemeinsamen Zivilisation und ihre harmonische Entwicklung. Der wesentliche Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur ist etwa 40 Prozent

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