Schulinfarkt by Juul Jesper

Schulinfarkt by Juul Jesper

Autor:Juul, Jesper
Die sprache: deu, deu
Format: epub
Herausgeber: Kösel Verlag
veröffentlicht: 2013-02-28T16:00:00+00:00


Unser tragisches Versagen im Umgang mit »schwierigen« Jugendlichen

Ich möchte an dieser Stelle noch weiter auf ältere Kinder und Jugendliche eingehen, die so gerne als »schwierig« bezeichnet werden.

An einer deutschen Privatschule habe ich einmal mit den Lehrern geredet, die das taten, was die meisten Lehrer tun, wenn sie mit mir ins Gespräch kommen: Sie beschreiben mir das schwierigste Problem, das ihnen einfällt, und fragen mich, wie sie es abstellen können. Damals erzählten sie mir von einem vierzehnjährigen Jungen, dessen Leistungen sich im Laufe des letzten halben Jahres deutlich verschlechtert hatten. Seine Eltern hatten sich getrennt, sein Vater war chronischer Alkoholiker, die Mutter trank ebenfalls und hatte einen neuen Freund, der offenbar kriminell veranlagt war. Der Junge lebte nun abwechselnd bei seinem Vater und seiner Mutter, worauf seine Noten immer schlechter wurden.

Und genau am Tag meines Besuchs war die Situation an der Schule eskaliert. Der Junge sei frech gewesen, wurde mir berichtet, und eine Lehrerin habe ihn mit den Worten »Jetzt hörst du aber auf!« am Arm gepackt und diesen geschüttelt, worauf er die Hand der Lehrerin weggeschlagen habe. Er habe zwar gewusst, dass er das nicht hätte tun sollen, doch anstatt sich zu entschuldigen, sei er auf die Toilette gerannt, habe den Toilettendeckel herausgerissen und aus dem Fenster geworfen. Daraufhin habe man den Jungen nach Hause geschickt und ihm ein zweiwöchiges Schulverbot erteilt.

Nachdem sie ihren Bericht beendet hatten, fragten mich die Lehrer, ob ich eine bessere Idee gehabt hätte, und ich antwortete, das hätte ich in der Tat. Also schlug ich vor, dass die Schulleiterin gemeinsam mit der betreffenden Lehrerin unverzüglich zu dem Jungen nach Hause fahren und sich beide bei ihm entschuldigen sollten. Und zwar sollten sie sich dafür entschuldigen, dass sie seine Entwicklung so lange beobachtet und nichts unternommen hatten, obwohl sie genau wussten, wie schlecht es ihm geht und wie deprimierend seine Lebensumstände sind: »Wir haben gewusst, dass es dir schlecht geht und du eine enorm schwierige Zeit durchmachst. Dennoch haben wir nichts anderes getan, als dich ständig zu ermahnen und dir zu sagen, dass du dich bessern musst. Und heute haben wir dich auch noch bestraft. Das tut uns leid, und wir möchten uns dafür bei dir entschuldigen. Du sollst wissen, dass du ab morgen herzlich in der Schule willkommen bist.«

Die versammelten Lehrer, vierundzwanzig an der Zahl, reagierten auf meinen Vorschlag ebenso geschockt wie empört. Fast hätte ich dasselbe Schicksal wie der Junge erlitten und wäre unmittelbar der Schule verwiesen worden.

Wir sollten uns vor Augen halten, dass sich sofort das Jugendamt einschaltet, wenn Eltern ihr Kind auf ähnliche Weise vernachlässigen wie diese Schule. Aber die Schule darf das, weil sie die Schüler ja ohnehin für »unerreichbar« erklärt. Die Lehrer äußerten die Befürchtung, dass, wenn so ein Verhalten einrisse, schon morgen sämtliche hundertfünfzig Schüler mit Toilettendeckeln um sich werfen würden. Doch ich versicherte ihnen, sie brauchten sich in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen.

Ich sprach aus Erfahrung, weil ich in meiner Schulzeit eine eigene kleine Verhaltensauffälligkeit an den Tag gelegt habe. Zehn Jahre lang legte ich im Unterricht



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