Schreiben in Archipelen by Miriam Lay Brander

Schreiben in Archipelen by Miriam Lay Brander

Autor:Miriam Lay Brander
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2020-09-09T15:12:39.754000+00:00


5.2.2 Der Sinnspruch zwischen autobiographischem, kollektivem und universellem Diskurs

Eine zentrale Funktion des Sinnspruchs in Pluie et vent besteht darin, einen kollektiven Diskurs in eine individuelle, autobiographische Erzählung einzufügen.89 Einige in Pluie et vent geäußerten Sinnsprüche sind insofern Ausdruck eines Kollektivs, als sie nicht einer einzelnen Aussageinstanz, sondern einer Gruppe (Männer/Frauen/Leute) zugeschrieben werden. So grüßen sich einige Dorfbewohner («certains») in Fond-Zombi, wenn sie sich in der Adventzeit auf der Straße begegnen, selbstironisch mit dem Sinnspruch: «La queue du cochon sauvage, ne s’empanache-t-elle pas quand on le chasse?» (TM 165).90 Auch die feierliche Zeit gegen Ende des Jahres, wenn in den Hütten der farbigen Bevölkerung Adventslieder erklingen, können die Bewohner von Fond-Zombi nicht über das Gefühl hinwegtäuschen, ‹Beute› der Weißen zu sein und von diesen gering geschätzt zu werden. Andere Sinnsprüche werden zwar von einem einzelnen Aussagesubjekt geäußert, das jedoch stellvertretend für eine Gruppe spricht. Während der Totenwache von Télumées Großmutter findet ein Dialog zwischen der Dorfbewohnerin Madame Brindosier und der Zauberin Man Cia statt, in dem erstere die Vergänglichkeit des Lebens beklagt: «[Je dis que] le blâme de Dieu est sur toute créature et en fin de compte pour lui, bonté ou méchanceté c’est tout comme … il te tue» (TM 185).91 Man Cia verurteilt diese pessimistische Sichtweise und lenkt den Blick stattdessen auf positive Aspekte des Zusammenlebens in ihrer Gemeinschaft: «[ – Que sont ces histoires de blâme? dit man Cia d’une voix mécontente … ] si Dieu blâme et s’il tue qu’il tue … mais ce qu’il ne peut empêcher, c’est qu’un nègre lui montre de quel poids pèse sur la terre, à ses yeux, l’âme d’un autre nègre …» (TM 185).92 Und «si beaux que soient les sons, seuls les nègres sont musiciens» (TM 185).93 Auch wenn Man Cia aufgrund ihrer übernatürlichen Kräfte eine Randfigur in der Gemeinschaft der Farbigen von Fond-Zombi darstellt, fungiert sie hier als Sprachrohr dieser Gemeinschaft, indem sie sich selbst in diese einschließt und deren positive Werte – ein starker Zusammenhalt und eine ausgesprochene musikalische Begabung – hervorhebt.

Zwischen bewertender Distanz und solidarischer Inklusion ist auch der folgende Sinnspruch von Amboise zu situieren: «[Ami,] rien ne poursuit le nègre que son propre cœur …» (TM 152).94 Mit ihm antwortet Amboise auf die Frage des betrunkenen Élie, der zwei in eine Schlägerei verwickelte Männer anspornt und in die Zuschauermenge ruft: «Qui de vous peut me répondre, me dire exactement par quoi nous sommes poursuivis, car nous sommes poursuivis, n’est-ce pas?» (TM 152).95 Für Amboise sind es nicht die äußeren Umstände – ökonomische Abhängigkeit, Naturkatastrophen, Krankheit und Tod –, die den Farbigen verfolgen, sondern die Art und Weise, über das Leben zu denken und es zu führen. Der von Amboise geäußerte Sinnspruch enthält eine indirekte Kritik an Élies Lebensführung, der zum Alkoholiker wird, statt sein Leben aktiv zu gestalten. Dieser beschimpft Amboise auf seine Antwort hin dafür, dass er seine persönliche Situation mit einer allgemeinen Wahrheit verrechnet:



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