Schrei im Morgengrauen by Linda Castillo

Schrei im Morgengrauen by Linda Castillo

Autor:Linda Castillo
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
ISBN: 9783956490392
Herausgeber: Mira Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2014-07-31T22:00:00+00:00


10. KAPITEL

„Eddie!“

Angsterfüllt sah Kelly zu, wie der reißende Strom ihren Sohn verschluckte. Panik stieg in ihr auf. Ihr erster Impuls war es, sich Hals über Kopf in die Schlucht zu stürzen, dem eisigen Strom zu trotzen und ihren Sohn zu retten.

Doch die Stimme der Vernunft hielt sie davon ab. Ihren Sohn aus dem wilden Gewässer zu retten war ein schwieriges Unterfangen. Um ein Haar wäre sie in Panik verfallen und hätte der Hysterie nachgegeben, die sich wie ein schwarzer Abgrund vor ihr auftat, aber die Tatsache, dass Buzz nur ein paar Meter von ihrem Sohn entfernt war, gab ihr die Kraft, einen klaren Kopf zu behalten – zumindest lange genug, um zu merken, dass sie das Seil brauchte.

Als sie nach unten sah, lag es straff in ihrer Hand. Nur einen Augenblick später machte es einen Ruck und glitt durch ihre Handflächen. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie, als es ihre Haut verbrannte, doch es gelang ihr gerade noch rechtzeitig, fest zuzupacken, bevor ihr das Ende entgleiten konnte. Doch als sie merkte, dass sie nicht stark genug war, um das Seil noch lange zu halten, wickelte sie es eilig um einen abgebrochenen Baumstumpf. Dann nahm sie das Fernglas, das um ihren Hals hing.

Als sie hindurchblickte, sah sie Buzz, wie er im Wasser stand und versuchte, sich loszumachen. Nur einen kurzen Moment später hatte er es geschafft und er verschwand in der Strömung.

Eine neue Welle der Angst brach über sie herein. Was, wenn Buzz nicht rechtzeitig bei ihrem Sohn sein würde? Was, wenn das Wasser ihr nicht nur den Sohn, sondern auch dessen Vater nehmen würde?

Wie ferngesteuert zog sie das Seil aus der Schlucht heraus. Sie hatte es sich über die Schulter gelegt und rollte es auf, während sie durch die Büsche in die Richtung rannte, in die die Strömung ihren Sohn und Buzz fortgezogen hatte. Zweige schlugen ihr ins Gesicht und rissen an ihrer Kleidung, doch sie spürte es kaum. Völlig außer Atem trieb sie ihren Körper bis an seine Grenze. Sie lief so schnell, wie ihre Beine sie trugen, während sie gleichzeitig mit den Händen das Seil aufrollte, das hinter ihr her schleifte.

Zwanzig Meter flussabwärts verlor sie Eddie aus den Augen. „Eddie!“ Sie wusste, dass er sie nicht hören konnte. Das Rauschen des Wassers war viel zu laut. Aber sie konnte nicht anders. Sie musste einfach seinen Namen rufen. Ihn aussprechen. Ihn hören.

Bitte, lieber Gott, mach, dass den beiden nichts passiert!

Zehn Meter weiter fiel das Gelände gefährlich steil ab. Kelly hielt sich an den unzähligen jungen Bäumen und niedrigen Zweigen fest, um das Gleichgewicht zu halten, während sie zum Bach stürzte. In halsbrecherischem Tempo sprang sie über umgestürzte Bäume, stolperte über Felsen und schlitterte über lose Erde, die sie mit ihren schweren Stiefelschritten lostrat.

Einen Augenblick später öffnete sich der Wald und gab eine felsige Sandbank frei.

Das Tosen des Wassers war ohrenbetäubend. Kelly blickte nach unten auf ihre Hände und stellte fest, dass sie das Seil in seiner gesamten Länge eingeholt hatte. Stumpf und ohne zu realisieren, dass es ihres war, starrte sie auf das Blut an ihren Händen.



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