Richtig liegen: Geschichten in Paaren (German Edition) by Ulrike Draesner

Autor:Ulrike Draesner [Draesner, Ulrike]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Luchterhand Literaturverlag
veröffentlicht: 2014-12-21T05:00:00+00:00

Süße Kaverne

Sie hatte gelernt, sich vorsichtig zu bewegen, fast unhörbar, so dass kein Tier erschrak, auch das Menschentier Mann nicht, schon gar nicht, wenn es schlief. Dieser Mann schlief besonders schön, entspannt auf dem Rücken, Mund leicht geöffnet. Er schnarchte nicht. Sie hatte nur die Besten genommen für ihre Tour.

Im Sommer waren Körper robuster, also wählte sie den Juni, maß ihre Temperatur, sechs bis zwölf Stunden gab Mutter Natur ihr Zeit. Enthaltsamkeit die Tage zuvor – nun war sie bereit, fünf Samenmänner und gleich zu Beginn ein Joker, bei ihm gelandet über Nacht, Marius, oder?, entdeckt in einer Bar, everything in its right place. Während Gina die Hüftjeans hochzog, atmete der Joker tief aus und drehte sich um, die Decke rutschte ihm halb auf den Bauch. Es überraschte sie, wie gut er auch morgens aussah, fast besser als in der Nacht; behutsam hob sie das Plumeau und betrachtete seinen Penis. Pendulum.

Freihängend.

Kam nur bei Säugetieren vor, obwohl auch hier die meisten Schwänze in Taschen versteckt wurden. Ausnahmen: der Menschenmann und die Fledermaus.

Regina, genannt Gina, redevelopper of female life, schlüpfte durch Marius’ Wohnungstür. Die Schuhe zog sie erst im Treppenhaus an. Microchiropteras Schwänzlein würde, rechnete man die Größenverhältnisse um, beim Homo sapiens bis zum Rippenansatz stehen. Das war mal ein Unterschied.

Der Hausgang roch feucht, Feuchtes roch Gina Regina von fern, Teichfledermäuse waren ihr Spezialgebiet. Sie war Deutschlands profilierteste Teichfledermausforscherin – 181 cm hoch, eckig, braunlockig, fest. Grüne Boots, Khakihosen mit tausend Taschen, feinste Schraubenzieher, Zängelchen. Instrumente für Feldermäuse waren klein.

Heute war, lieber Plan, alles anders: Jeans, ausgeschnittenes Shirt. Auch in Größe 42 wirkten die Plastikriemchen der Sandalen elegant, und sie waren elegant, zumindest im Vergleich zu dem Fluch, den Gina an der Tür zur Straße ausstieß: abgeschlossen. Was war denn das für ein Haus? Zurück in den zweiten Stock. Nicht rennen, nicht auffallen. Zum Glück hatte sie, um Geräusche zu vermeiden, Marius’ Wohnungstür nur angelehnt.

Im zweiten Semester war Ginas Gruppe zum Enteneierklau eingeteilt worden. Man suchte zwischen halb verfallenen Stegen, übte Sumpfsprünge. Gina fiel dreimal in Entengrütze. Seither konnte sie balancieren. Furchtlos stellte sie sich auf Marius’ Klo und öffnete das Fenster. Vorm Spiegel standen zwei Zahnbürsten im Glas, gleich neben dem Fenster hing eine Feuerleiter an der Fassade, ganz wie im Film. Gina mochte es, wenn die Wirklichkeit sich so praktisch filmisch benahm, eben daran, die Welt praktischer zu machen, arbeitete auch sie selbst. Als sie sich in der Fensteröffnung drehte, um zur Leiter hinüberzuschwingen, glaubte sie für den Bruchteil einer Sekunde, Marius’ Gesicht im Spiegel zu sehen.

Treu angekettet stand ihr Fahrrad an seinem Laternenpfahl. Gina, die um die Zerbrechlichkeit der Säugetierzelle wusste, zerrte den Helm fest und fuhr los. Leichtes Ziehen im Bauch bei Anstrengung galt als normal, everything in its place. Ihre OP lag acht Wochen zurück.

Autos, Busse, Abgase. Nach den ersten hundert Metern im Morgenverkehr entspannte sie sich. Den Eisprung bemerkte sie immer auch daran, dass Fahrradfahren schöner wurde. Gina, dicht über den Lenker gebeugt, der Asphalt spiegelnd als wäre er Wasser, Gina, sanfter denn je. Königin der Wechsel, Regina der innovativen Biologie.

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