Rettet die Neugier!. Gegen die Akademisierung der Kindheit by Salman Ansari
Autor:Salman Ansari [Ansari, Salman]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104025438
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2014-11-06T16:00:00+00:00
Dritter Tag
Kann Luft Wasser aufnehmen und abgeben?
Auch dazu gibt es einen Versuch.
Versuch 4
Die Kinder machen ihre Hände leicht nass und leiten Luft durch Wedeln mit einem Pappteller oder durch Pusten darüber. Das Wasser verschwindet. Dann setzen sie einen Wassertropfen auf den Tisch und wedeln mit den Papptellern. Der Wassertropfen verschwindet. Sie machen zwei kleine Baumwolltücher nass. Eins davon lassen sie im Zimmer und das zweite hängen sie draußen im Schatten auf. Das Tuch draußen wird schneller trocken als das Tuch im Zimmer. Im weiteren Gespräch stellt sich heraus, dass den Kindern nicht bewusst ist, dass im Raum überhaupt Luft vorhanden ist. Sie meinen, dass die Luft aus dem Mund und dem Pappteller gekommen sei. Wir reden auch darüber, dass die Wäsche an einer Leine selbst dann trocken wird, wenn keine Sonne scheint. Nachdem es geregnet hat, bleibt die Straße auch nicht nass. Einige Kinder meinen, es würde in die Erdschicht versickern. Und was macht das Regenwasser, das auf asphaltierte Straßen oder auf befestigte Gehwege fällt? Nur über vierjährige Kinder vermuten, dass es von der Sonne »weggemacht« wird, wenn sie nach dem Regen scheint. An Luft denken sie dabei nicht. Auch nicht, wenn ich frage, warum ein Handtuch oder ein Papiertuch die Hände trocknet. Das ist eben so, meinen sie. Frage ich, ob das Handtuch dabei selber nass wird, probieren die Kinder dies aus. Sie sehen zwar, dass das Tuch nass wird, aber auch dieser Weg hilft ihnen nicht zu erkennen, dass vielleicht die Luft ähnlich wie das Handtuch wirkt und dabei selber feucht wird. Doch ich merke bei diesem Vergleich, dass man die Feuchtigkeit der Luft nicht wirklich sinnlich wahrnehmen kann, also nicht in gleicher Weise wie bei einem nassen Handtuch aus Papier oder Baumwolle. Ich registriere auch, dass die Kinder und ich die gleichen Phänomene beobachten, unsere Deutungsmuster sich jedoch gewaltig unterscheiden. Offensichtlich müssen die Kinder noch mehr Erfahrungen machen, damit sie in Kategorien denken können, die für mich aufgrund meiner Erfahrung inzwischen logisch und selbstverständlich geworden sind.
Ich merke auch, dass ich zu voreilig mit den Experimenten vorangegangen bin. Denn Prozesse wie Kondensation oder Verdunsten können den Kindern noch nicht zugänglich sein. Die vorangestellten Experimente könnten sogar zu Fehlvorstellungen führen. Trenne ich ein Blatt von einer Pflanze, dann hört ihr Stoffwechsel (Photosynthese) auf, und das unter dem Wasser befindliche Blatt wird letztlich verfaulen. Es kann das Wasser erst einmal nicht verlieren, weil kein Konzentrationsgefälle besteht, denn das Blatt ist umgeben von Wasser selbst. Bei dem Blatt im Raum besteht solch ein Gefälle, und die Luft kann somit das Wasser von dem Blatt aufnehmen. Ich erinnere mich daran, dass mich schon einmal ein Grundschüler gefragt hat, weshalb die Schnittblumen in einer Vase verwelken, sie stünden doch im Wasser. Man muss immer sehr intensiv darüber nachdenken, warum und wozu man den Kindern ein Experiment überhaupt zeigen will und welche Gesetzmäßigkeiten dem Experiment innewohnen. Dann wird man auch erkennen können, ob Kinder mit ihrem Weltwissen die Aussage des Experiments überhaupt deuten können.
Vielleicht werden die Kinder über diese Phänomene, die sie noch nicht
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